FAIRY TALE WRITING

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THIS PAGE FOCUSES ON THE FAIRY TALE - DREAM ASPECT OF HANDKE'S WRITING AND, SOMEWHAT ARBITRARILY, ON A NUMBER OF WORKS THAT SHARE VERY DIFFERENT ASPECTS OF THE SAME QUALITY: THE 1987 DREAM-FILM-SCREENPLAY NOVEL absense; THE 1997 NOVEL 'one night I walked out of my quiet house'; the 1999 footnote to NO-MAN'S-BAY Lucie in dem Wald mit den Dingsda THE AMERICAN COVER OF "One Night I Walked Out of My Quiet House

Lucie en el bosque con estas...
PETER HANDKE
Traduccion de Eustaquio Barjau. Alianza, 2001. 67 paginas, 1.900 pesetas

Hace un par de anos hablabamos desde estas mismas paginas de El ano que pase en la bahia de nadie, del austriaco Handke, y ya entonces comentabamos el singular modelo narrativo del autor. Handke no solo se habia enfrentado dialecticamente a los grandes nombres de la literatura germana actual, como Boll o Grass, sino que su literatura resultaba ser una radical alteracion de los postulados, de los cimientos, sobre los que se habia asentado la literatura centroeuropea de decadas precedentes. El nuevo titulo de Peter Handke, Lucie en el bosque con estas cosas de ahi, continua la misma linea formal que ya conocemos de entregas anteriores. Eso si, sin el empaque ni la consistencia de aquellas. En este caso se trataria de un cuento, o, en el mejor de los casos, una novella, sin la complejidad estructural de La mujer zurda o El largo camino a casa.
Acabo de utilizar el termino cuento en el sentido mas amplio de la palabra, pues no solo su extension, sino su forma, contenido y elementos constituyentes se asemejan poderosisimamente a aquellos propios de los cuentos tradicionales. Aunque la accion transcurre en el momento actual, el lector tiene la sensacion de haber sido trasladado a un mundo de hadas y duendecillos mas propio del romanticismo de epocas preteritas que del pragmatismo de la actual. La protagonista de la historia es Lucie, una nina de siete anos que vive con sus padres en un pequeno pueblo cerca del bosque y del mar. La madre trabaja en la policia, es atractiva, limpia, energica y resuelta, en tanto que el padre es todo lo contrario, inseguro y dubitativo, trabaja de jardinero y su aspecto es bastante desaseado. Le gusta pasear por el bosque recogiendo setas y cuanto la naturaleza depara y suele hablar con frases larguisimas que resultan incomprensibles. No resulta extrano que Lucie sienta una mayor atraccion por su madre que por el padre. Sin embargo, la nina comienza a parecerse progresivamente al padre. Un dia, sin previo aviso, el padre es detenido; el, como la mayoria de sus vecinos son exiliados, y Lucie va a hablar con el rey para que lo liberase. Lleva con ella un canastillo de setas, que resulta ser el plato preferido del rey...
Las aproximaciones al texto pueden ser tremendamente diversas: parece tratarse de una metafora, pero al mismo tiempo la experimentacion narrativa es la piedra angular del relato. Desde la primera frase, Lucie se llamaba en realidad de otra manera nos encontramos atrapados en un mundo de dualidades, aquellas de la realidad-fantasia; la montana y el mar, el padre y la madre; la seguridad y la incertidumbre... Y es esa continua incertidumbre la que acompana el proceso de maduracion de la protagonista, en lo que resulta ser un autentico Bildungsroman . Lucie en el bosque... es un relato que sera convenientemente explotado por la nueva escuela de ecocriticos.

Jose Antonio GURPEGUI



Belletristik

Peter Handke: Lucie im Wald mit den Dingsda. Eine Geschichte. Suhrkamp Verlag,Frankfurt am Main 1999. 90 S., mit 11 Skizzen des Autors, 28 Mark.
Waldweben
Kurios einleuchtend: Peter Handkes Kunstmaerchen Lucie im Wald mit den Dingsda
von Gustav Seibt

Lucie, die kindliche Heldin in Peter Handkes neuer Geschichte, bewundert ihre Mutter, eine Polizistin, fuer allerlei - unter anderem deshalb, weil diese beim Tuerenschliessen, im Haus oder sonstwo, nie, nicht im leisesten, je eine Klinke drueckte. Von der Eichendorffschen Sehnsucht hat man gesagt, das Posthorn, das in diesem Gedicht durchs stille Land erklingt, unterbreche die Stille nicht so sehr, als dass es diese ueberhaupt erst hoerbar mache. Handke gelingt etwas noch viel Gewagteres: Er laesst uns vor geknallten Tueren zusammenzucken durch den Superlativ von leise.

Jemandem vorzuhalten, dass er nie, nicht im Leisesten, je eine Klinke druecke, laesst auf unerfreulich nervoese Nahverhaeltnisse schliessen. So kurios privatistisch wirkt alles in dem neuen Handke-Buechlein, das sich auch wie ein verschluesselter Kassiber aus einer Kleinfamilienhoelle mit Vater, Mutter und Kind liest. Nicht selten sind ja Familien Pflanzstaetten bizarrer sprachlicher Sonderentwicklungen und insofern poetisch-mythologisch ueberaus fruchtbar. Und was fuer ein wunderbarer, maerchenhafter, komischer Text ist jetzt bei Handke daraus geworden! Dieser Autor ist sein eigener schlimmster Feind, denn waehrend seine letzten Erzaehlwerke laengst die Felsschroffen eines grotesk verwitternden Humors erklommen haben, lenkt er selbst davon ab, indem er die OEffentlichkeit mit bombastischen serbischen Andersmei-nungen quaelt. Handkes neuer Humor wurde schon in seinem letzten Roman (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) fast ueberall verkannt, und wer weiss, vielleicht zuendet er auch jetzt nicht im Leisesten.

Lucie im Wald mit den Dingsda ist ein Kunstmaerchen, also eine Geschichte, die so naiv und drohend-tiefsinnig daherkommt wie ein Volksmaerchen, in Wirklichkeit aber ein ausgekluegeltes Dichterartefakt ist. Es geht los in einem Haus, das zwischen zwei Kinderwelten gelegen ist: Nach hinten geht es auf einen struppigen, dichten Wald, auf eine alte Maerchenlandschaft, nach vorn auf eine moderne, schimmernde Grossstadt am Meer, die gut zur Kulisse eines Comics taugen koennte. Im Wald ist sonderlingshafte Vaterwelt, in der Stadt arbeitet die Mutter als Polizistin. In der Mitte lebt das zehnjaehrige Kind Lucie, das aber nicht so heisst, sondern nur so heissen will, im UEbrigen auch erst sieben ist, aber gern aelter waere. Ein Maerchen ist der Text auch deshalb, weil er erst einmal beginnt wie der Wunscherfuellungstraum des Kindes, das schoener heissen und aelter sein darf als in Wirklichkeit.

Die Geschichte, die sich zwischen Vater, Mutter und Kind entfaltet, ist so wurzelholzhaft verzwirbelt, dass sich eine Nacherzaehlung verbietet. Offenbar moegen sich die Eltern nicht recht, und auch das Kind schwankt in seinen Sympathien. Die Mutter knallt Tueren, der Vater stammelt ellenlange Saetze und sammelt unappetitlich riechende Waldfruechte. Diesen wortgewaltig stotternden Waldgaenger meint man aus Handkes Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht (einem Maerchen aus den neuen Zeiten!) von 1994 zu kennen, wo er als Pilze sammelnder Rucksacktraeger durch die Laubwaelder um Paris streift. Um die von Lucies Vater gesammelten Waldfruechte, deren Bezeichnung vielleicht zwanzig Mal wechselt (von Mulm ueber Dingsbums und Dickfuss zu Waeldersattsamkeiten) wird ein geheimnisvolles Gewese gemacht, denn diese sich zu Zwergen auswachsenden Waldwesen muessen am Ende dem Kind helfen, den asozialen Vater aus dem Gefaengnis zu retten, in das der Koenig der Stadt ihn geworfen hat - in der zweiten, etwas bedeutungshuberischen Haelfte dieses Kunstmaerchens. Was sind diese Dingsda aus dem feuchten Waldesinneren eigentlich? Wir vermuten: Woerter, die Fruechte der Dichtung, die irgendwann zauberisch selber laufen lernen und die neue Welt drunten in der Stadt anstaunen.

Die Aufloesung der Maerchenhandlung - Rettung und Versoehnung der Eltern durch das Kind, die Rueckkehr der Familie aus der Seestadt ins Waldhaus - hat den Zauber eines Jean Paulschen Wunders. Die Dingsda haben ihren Dienst getan, die Welt liegt in strahlender Schoenheit, und auf einmal faellt ein Satz, der vermutlich ein Zitat ist (aus Goethes Wanderjahren, aus Stifter oder doch von Jean Paul?), jedenfalls aber so klingt: Das Schweigen versprach sich selber Schweigen und zeigte sich voller Liebe. Handkes Text steht auf der Hoehe solcher Poesie: Jedes Wort wirkt notwendig, aber man kann eigentlich nicht sagen warum, alles wirkt abwegig, zugleich aber auf eine suggestive Art vertraut. Das ist maerchenhaft und in einem intellektuellem Sinn ueberaus romantisch. Und was tut die gerettete Familie am Ende? Sie sitzt zusammen an einem recht komischen, kurios einleuchtenden, sehr wohlklingenden Ort, auf der Waldwaertsveranda.

Peter Handke: Lucie im Wald mit den Dingsda. Eine Geschichte. Suhrkamp Verlag,Frankfurt am Main 1999. 90 S., mit 11 Skizzen des Autors, 28 Mark.
Berliner Zeitung vom 04.09.1999



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Peter Handke
VERSUCH UEBER DEN GEGLUECKTEN TAG
Ein Wintertagtraum
Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1991, 90 S., ISBN: 3-518-40379-6

VERSUCH UEBER EINEN GEGLUECKTEN TAG nennt P.H. seinen nunmehr dritten Versuch, den er auch noch mit ein Wintertagtraum entschuldigen moechte.
..erkenne ich doch immer oefter, und mit immer groesseren Zorn, gegen mich selber, wie mit der vorrueckenden Zeit mehr und mehr Augenblicke meiner Tage mir etwas sagen, wie ich aber weniger und weniger von ihnen fasse und, vor allem, wuerdige.
Diesem unserer Zeit und unseren Breitengraden durchaus angemessenen Motiv kommt und kommt P.H. aber nicht auf die Spur, benennt es auch erst auf der Seite 68, um es allerdings sogleich in niederschmetternder Weise wieder zu negieren:
Ich bin, ich muss es wiederholen, empoert ueber mich, dass ich unfaehig bin, das Licht des Morgens am Horizont, welches mich gerade noch hat aufblicken und zur Ruhe kommen lassen (in die Ruhe kommen, steht beim Briefschreiber Paulus), zu halten.
Tatae, Tatae, Tatae!
Auch ein Versuch verlangt in seinem Tasten nach Stringenz, und wenn die dem Autor nicht moeglich ist, weil er zu keiner ihn befriedigenden Loesung kommt und er zuletzt den Traum lediglich als Traum anerkennt, dann haette das Publikum fuer sein Geld wenigstens einige gelungene Fragmente verdient. Aber dieser Wintertagtraum kommt unverdaut und unueberarbeitet ueber die gutwillige Leserschaft: Dynamisch-inhaltliche Widersprueche sind von P.H. unkommentiert neben-und nacheinander hingerotzt, will sagen, angetastet worden. Sie ergeben kurze, ihrer selbst wegen, hingeworfene Assoziationsstrecken, die ins beliebige Irgendwohin weisen und alles Moegliche, nur keinen wirkungsvollen und glaubwuerdigen Bezug zur Welt, zum Leser, zum Thema oder auch nur zum Autor herstellen.
Neben dem wortwoertlichen UEbersetzen franzoesischer Idiome, wurden P.H. offenbar auch wortwoertliche UEbersetzungen von Paulustexten aus dem Alt-Griechischen zur ebenfalls von ihm unbegruendeten Autoritaet. Aber die wortwoertliche UEbersetzung schuetzt nicht vor Missverstaendnissen und Nicht-Verstehen. Auf P.H.s Und es entspraeche der Idee solch eines Tages, statt eines Versuchs, eher die Psalmenform, ein wohl im voraus vergebliches Flehen?, haette ihm selbst Paulus ein heftiges, verzweifeltes Das wohl nicht! entgegengeschleudert und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass nur sein Innewohnen in der Dialektik des Psalmes ihm auch den von P.H. an den Anfang gestellten Vers an die Roemer eingegeben hat: Der den Tag denkt, denkt dem Herrn!
Wer sich und andere so wenig ernstnimmt, musste das Thema zweifach verfehlen, auch wenn Bemaentelungen wie Versuch und Traum als Amulette dagegengehalten wurden: Sein offenbar blindgepicktes Korn auf Seite 68 wollte P.H. nicht schlucken, dafuer haelt er sich spitzfindig, was P.H. wohl mit aesthetisch verwechselt, an der naiven Suche nach einem absoluten Rezept fuer planbar geglueckte Tage auf, aehnlich wie andere nach Wunschtraumfrauen oder -maennern Ausschau halten, weil sie sich nicht auf eine spannungsvolle Beziehung einzulassen vermoegen.
Dieses Buch ist noch nicht mal langweilig, es ist mit seinen ueberlangen, selbstgefaelligen Wortspielereien in beleidigend schlechter Verfassung. Nur P.H. kann wissen, warum er es nicht in die Schublade fuer fehlgeschlagene Versuche geraeumt hat:
Ich selber bin mein Feind geworden, zerstoere mir das Licht des Tags; zerstoere mir die Liebe; zerstoere mir das Buch.


05 28. Januar 2000

Martin Krumbholz Peter und das RotkAEppchen
LITERATUR Handkes ErzAEhlung Lucie im Wald mit den DingsdaJemandem die Fuesse brechen, das heisst im Handke-Deutsch soviel wie jemandem auf die Nerven fallen. Synonyme dafuer lauten: jemandem die Bonbons oder dieWeih rauchflAEschchen brechen. Peter Handke hat schon vielen seiner Leser und Kritiker die Fuesse oder die Bonbons gebrochen, und fuer Kritiker ist es besonders schlimm, sie sind foermlich aus dem Tritt gebracht, wenn der notorische Konsens-Verderber ihnen die Kategorien schAEndet.Ich bin aber einer, der es nicht kalt an der Nase hat (das heisst furchtlos sein, Handke-Deutsch), und so tue ich mir auch keinen Zwang an, wenn ich ueber des Dichters neuestes Werk in der gebotenen Kuerze ein Dingsbums verfasse, mit allem dafuer erforderlichen detektivischen Spuersinn. Lucie im Wald mit den Dingsda nennt sich das gute Stueck rAEtselhaft und vielversprechend, und bald ist klar: ein MAErchen ists, genauer gesagt eine Paraphrase des MAErchens von RotkAEppchen und dem boesen Wolf. Wobei auch einige andere MAErchenmotive hineinspielen, am Schluss treten zum Beispiel zwei Koenige auf, ein echter und ein falscher, den falschen erkennt Lucie/RotkAEppchen an Krone und Brokatmantel, den echten jedoch an seiner Vorliebe fuer Dingsda. Die hat RotkAEppchen im Wald gefunden, es bringt sie dem echten Koenig, um ihn zu bestechen, denn RotkAEppchens beziehungsweise Lucies Vater sitzt wegen Hochverrats im GefAEngnis und ist schon zum Tode verurteilt...Lucie im Wald mit den Dingsda ist ein subversives Buch; man merkt es nicht erst daran, dass der echte Koenig im Keller residiert (Untergrund!) und den VerrAEter natuerlich grosszuegig durch die Finger sehend begnadigt (Dingsda-Freaks unter sich!), sondern auch schon an der Anspielung auf den Beatles-Song Lucy in the sky with diamonds, bekanntlich eine leicht chiffrierte Umschreibung fuer LSD. Fast unverbluemt macht der staats- und sittenfeindliche Dichter Handke in seinem neuen Buch Reklame fuer Hallozinogene, denn die Dingsda sind ihrerseits eine Chiffre fuer Rausch- und BetAEubungsmittel, die man im Wald findet - magic mushrooms -, und mit denen unser MAErchenerzAEhler sich sehr gut auszukennen scheint.Der boese Wolf, das ist natuerlich der Dichter selbst in einer seiner Lieblingsmasken, und das unschuldige RotkAEppchen, das ist eine leicht durchschaubare Allegorie der oeffentlichen Meinung. Die wird vom boesen Wolf mAEchtig gereizt (es steckt auch eine gewisse Sexualsymbolik dahinter), schliesslich frisst der UEbeltAEter die kranke Grossmutter, den politischen guten Willen nAEmlich, legt sich selbst ins Bett und verschluckt mit seinem gierigen Maul und seinen scharfen ZAEhnen auch noch die oeffentliche Meinung. Dann aber erscheinen die braven Wortfuehrer des Feuilletons, schneiden dem boesen Wolf den Wanst auf, holen die oeffentliche Meinung unversehrt und ganz und gar jungfrAEulich wieder heraus und tun stattdessen Wackersteine hinein.Der Wolf ist offenbar nicht in den Brunnen gefallen, den er lAEngst vergiftet hat, sondern verfasst - nach sicherlich ausgiebigem Genuss von Hallimasch, Cantarella, Rotkappen etcetera - psychedelische LuegenmAErchen, in denen er so unhaltbare Behauptungen aufstellt wie die, die Todesstrafe sei fuer sAEmtliche LAEnder dieser Erde mit sofortiger Wirkung abgeschafft. (Nur weil man ihn nicht in den Brunnen gestuerzt hat!) Der Suhrkamp Verlag aber sollte sich langsam einmal ernsthaft fragen, ob er es mit seiner libertAEr-rationalistischen Grundordnung weiterhin vereinbaren kann, sogenannte Dichter in sein Programm zu nehmen, die unser aller deutsches RotkAEppchen mit den perfidesten rhetorischen Tricks auf die Holzwege ihres abartigen und haltlos berauschten Denkens locken wollen!Peter Handke: Lucie im Wald mit den Dingsda. Eine Geschichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 90 S., 28,- DM 

Bund; 1999-10-02; Seite Z4; Nummer 230
Der kleine Bund
Polemisches und Poetisches
Peter Handke und Jugoslawien
Charles Cornu
=Sie hauen mir diese grossen Schrecklichkeiten ueber meinen armen Schaedel, und ich stehe daneben als proserbisch, wo ich nur Nuancen suche. =So Peter Handke, Bezug nehmend auf die ausserordentlich heftigen Reaktionen nach der Veroeffentlichung der beiden Berichte  =Eine
Thomas Deichmann (Hrsg.)
NOCH EINMAL FUER JUGOSLAWIEN: PETER HANDKE
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 290 Seiten. Fr. 18.-.
Peter Handke
LUCIE IM WALD MIT DEM DINGSDA
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 90 Seiten. Fr. 26.-.
winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien = sowie =Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise = (1996).
Und so verhielt es sich weitherum in der Tat: Mit dem Holzhammer versuchte man Handke zu widerlegen, obschon dieser die Scheusslichkeiten des Bosnienkrieges nicht leugnete, wohl aber sie ausblendete, als er jenes Serbien und jene Serben aufsuchte, die sich, nicht zuletzt der Kriegswirtschaft wegen, auf archaische und mehr innerliche Werte neu zu besinnen begannen. Am Aufschrei fast der gesamten europaeischen und internationalen Presse ist Handke allerdings nicht unschuldig, hat er doch ebendiese Medien als hetzerisch und antiserbisch heftig und pauschal angeklagt.
Es gab jedoch auch Stimmen, die sich sorgfaeltig um Nuancierung und Differenzierung gegenueber Handkes teils idealisierenden, teils polemischen Reiseberichten bemuehten. Diese sind nun in dem von Thomas Deichmann herausgegebenen Band «Noch einmal fuer Jugoslawien: Peter Handke= gesammelt. Unverkennbar schlaegt sich Deichmann voellig auf die Seite Handkes; darum steuert er selber einen groesseren Aufsatz ueber ein fragwuerdiges, die oeffentliche Meinung manipulierendes und stimulierendes Foto aus dem Bosnienkrieg bei, was insofern besonders problematisch ist, als Handke selber sich ja gerade nicht als «Kriegsberichterstatter» verstanden hat. In die Sammlung eingegangen sind aus der Schweiz die Stellungnahmen von «Bund», WoZ, «Zuerichsee-Zeitung und  Diese und die weit zahlreicheren vor allem aus Deutschland und OEsterreich belegen, dass Journalisten durchaus des Abwaegens faehig sind, waehrend umgekehrt einige im Band abgedruckte Gespraeche sowie Handkes Rede zur Eroeffnung der Belgrader Buchmesse 1997 demonstrieren, wie parteiisch und rechthaberisch der Dichter aufzutreten vermag.
Ist die juengst erschienene raetselhafte Erzaehlung Lucie im Wald mit dem Dingsda ebenfalls als eine Reaktion Handkes auf die Querelen nach seinen Serbien-Aufsaetzen aufzufassen? Denkbar ists. Da tritt ein zitternder, zagender, stotternder und sogar stinkender Vater auf, der von seinen einsamen Waldgaengen die Saecke voll kurioser Dinge, die er aufgelesen hat, heimbringt. Dieser Vater naemlich ist ein unentwegter Sucher, Sammler, Betrachter und Beobachter, was ihm nicht nur das Toechterchen Lucie zeitweilig entfremdet, sondern ihn auch markant von der Gattin abhebt, die eine schoene und adrette Polizeichefin ist, und ihn ueberdies den massgeblichen, wenngleich falschen Behoerden verdaechtig macht.
Eine Parabel fuer des bedachtsamen Dichters randstaendige Existenz ueberhaupt? Die Geschichte (so die Bezeichnung fuer das kleine Buch) sowie die elf in den Text eingestreuten Skizzen des Autors muten wie eine dichterisch-kuenstlerische Fingeruebung eines kreativen Menschen an, der sich von einer groesseren Strapaze erholt - oder sich auf eine ebensolche vorbereitet.
Erholt sich Peter Handke von einer groesseren Strapaze, oder bereitet er sich auf eine ebensolche vor? Isolde Ohlbaum
2001 / Der Bund Verlag AG, Bern und Autoren / www.eBund.ch


DIE ZEIT vom 25.04.1997 Seite 47 Nr. 18 FEUILLETON Der Ritter der Ploetzlichkeit Eine Maerchenstunde in Santa Fe: Peter Handkes Roman In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus Es war einmal ein Mann. Der Mann hatte einen Freund. Der Freund sagt, Mann, erzaehl mir eine Geschichte! Da fing der Mann an: Es war einmal ein Mann. Der hatte einen Freund. Der Freund sagt, ,Mann, erzaehl mir eine Geschichte!`. Da fing der Mann an: . . . Soeben lasen Sie, wenngleich in ruede verkuerzter Fassung, den neuen Roman von Peter Handke. Oder sagen wir besser gleich: den neuen Abschnitt aus der unendlichen Geschichte ueber eine Geschichte, an der der Dichter seit nunmehr zwei Jahrzehnten schreibt. Kein Gesamtkunstwerk, eher ein Fahndungsbericht in Fortsetzungen, ein Gesamtsuchwerk: Langsame Heimkehr, Die Lehre der Sainte-Victoire, Der Chinese des Schmerzes, Die Wiederholung, Die Abwesenheit, die Versuche ueber die Muedigkeit, die Jukebox, den geglueckten Tag, zuletzt Mein Jahr in der Niemandsbucht - alles Stationen auf dem Kreuzweg zum absoluten Buch, Seitenfluegel, Haupt- und Nebenschiff der kuenftigen Kathedrale einer erloesten Literatur. Nichts als Vorstudien, ein einziges Prolegomenon, das am Ende wohl das Hauptwerk abgibt. Zwar voller winzkleiner Kostbarkeiten - Regentropfen im Wegstaub, Mistelbalken in den Baumkronen, Rest-Pommes-frites in Pappbechern, sirrenden Kuehltruhen im Supermarkt, wie sie keiner ausser Peter Handke in deutscher Zunge besingen kann -, und doch poetologisch hoch- und immer wieder nach- und zugeruestet, schwer beladen mit den Lehrsaetzen und Rezepten einer AEsthetik der Versoehnung zwischen Wort und Welt. Letztlich eine lange Antwort auf eine kurze Frage: Wie erzaehlt man eine Geschichte? Zum Beispiel so: Es war einmal ein Mann. Der hat eine Apotheke. In der Apotheke traegt er seine weisse Apothekertracht, auf der Strasse jedoch Hut, Anzug und Stecktuch. Das Haus des Apothekers liegt an der Saalach in OEsterreich. Am Morgen, nachdem der Apotheker in der Saalach geschwommen ist, stecken kleine Flusskiesel in seiner Ohrmuschel, knirschen und klirren. Den Sohn hat der Apotheker verstossen, die Tochter ist in den Ferien, von der Frau lebt er getrennt, wenngleich unter einem Dach. Die Vorfahren des Apothekers stammen aus der Hohen Tatra, die Apotheke hingegen liegt in Taxham bei Salzburg. In seiner Freizeit sammelt der Apotheker Pilze, werktags ruehrt er im Hinterzimmer der Apotheke in den Toepfen und Tiegeln. Im Sommer liest der Apotheker ein mittelalterliches Ritter- und Zauberepos, abends speist er in einem Kellerlokal, halb unter der Erde, nahe beim Flughafen. Der Apotheker, sagen die Leute, sei der einzige Mann zwischen dem Untersberg und der Enge von Penedes, der so wirke, als habe er eine Geschichte zu erzaehlen. Der neue Handke-Roman hebt an, als seis ein nachgeholter Roman ueber den literarischen Vorfahren und Landarzt Charles Bovary, den wahren Helden der geistigen Provinz und der Einfalt des Herzens. Der Mann aus Taxham hat nicht nur einen Allerweltsberuf und unauffaellige Manieren, er faehrt eine bestimmte Automarke, bevorzugt eine seltene Kaffeesorte und beschaeftigt sogar zwei Angestellte. Nie und nimmer wuerde man aus seinem Apothekermund die Schwellprosa des spaeten Handke vernehmen, nichts von den Fundamenten der Leere, dem Untergang des allerersten Reichs, kein Wort vom ausgestorbenen Koenigtum, der nie gekannten Ordnung fuer die dumme zerfahrene Jetztzeit, der Wiederkunft einer Sprache wie die vor dem Bau des Turms von Babel. Der Apotheker ist, obgleich er mit Andreas Loser, dem Helden des 1983 erschienenen Romans Der Chinese des Schmerzes, mehr als nur das einsame Leben im Salzburgischen teilt, kein Schwellenkundler und Vergil-Exeget, niemand, der den Hohlraum eines aus der Welt verschwundenen Zusammenhangs wortstark und gebildet abtastet. Er ist, anders als die lebenden Allegorien des juengsten Dramas Zuruestungen fuer die Unsterblichkeit, kein serviler Sprechautomat einer altersaengstlichen aesthetischen Ordnungssehnsucht. Der Apotheker aus Taxham ist eine durch und durch - Handke wuerde sagen: erfrischende Figur. Als ein zeitgenoessischer Gesellschaftsroman - durchflutet vom staendig mitklingenden Epos des unbestimmten Strassen- und Fahrvolks - wurde die Apothekergeschichte bereits im 1994 erschienenen Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht annonciert. Der Apotheker von Erdberg sollte das Werk im Werk damals noch heissen und war ein aufgegebenes Romanprojekt des Niemandsbuchtbewohners, das schliesslich von Georges Simenon weitergetippt wurde - wiewohl der wirkliche Apotheker von Erdberg dem Autor in die Niemandsbucht noch Jahr fuer Jahr aus der Ferne Material schickt und andeutet, er haette unter vier Augen viel fuer das Buch zu erzaehlen. Eine wahre Geschichte also, erzaehlt von einem wirklichen Apotheker, so will es die Fiktion. Eine Geschichte, die an einem wirklichen Ort spielt, einem Handkeschen Unort, einem Vorort-Ort in der Zwischen-, vom Dichter auch Zwickelwelt genannten Zone, an der Grenze oder Schwelle zwischen Natur und Zivilisation. Taxham, dessen Kirchenglocken schon im Chinesen des Schmerzes gelaeutet wurden, ist so ein halbzivilisierter Niemandsort, wie sie der Dichter bevorzugt. Ein Randstreifengebiet, das, so wird im Roman Die Wiederholung erzaehlt, im Dorf seiner Jugend hinter den Gaerten hiess und eine Gegend bezeichnete, die zwar bewohnt war, aber nicht mehr so recht zum Dorf gezaehlt wurde, weil dort die Alleinstehenden hausten. Anmutig, schmucklos, gemaechlich beginnt diese Erzaehlung, trottelt ueber einige Dutzend Seiten in einem makellosen Imperfekt zwischen dem Haus am Fluss, der Apotheke und dem Flughafen seelenruhig hin und her, ohne dass abzusehen waere, wohinaus solch dichtende Schneckenpost heute fuehrte. Mal faehrt der Apotheker mit dem Radl, mal philosophiert er ueber die Macht des Erdreichs (nicht vom Weltall geht es aus, sondern von da unten). Mal huepft unversehens eine Amsel ueber den vergilbten Rasen, mal laermt ein Rabe durch die Stille des selbst von den Festspielen vergessenen Ortes und ueberbringt dem Herrn der Kraeuter und Tinkturen seine naturmagische und wortlose Botschaft. Es ist Frieden, eine unbestimmte Zwischenkriegszeit zwischen den ueblichen Schrecken, eine Zeit, fuer die keine Zeitungen, keine Fernsehnachrichten zustaendig sind: die Zeit, da diese Geschichte spielt. Es ist die reine Zeit der Erzaehlung, die es wie im Maerchen jenseits des Buches nicht gibt, aus der man nichts fuers Leben lernen, nichts ableiten und nichts mitnehmen kann - eine Zeit, die nur gilt, solange der Zauber des Erzaehlens anhaelt. Das macht den Unterschied zwischen den beiden Veraechtern der modernen Zeiten, den beiden Verfechtern einer neuen, alten Ordnung, zwischen Botho Strauss und Peter Handke: Waehrend der eine die verachteten Massenmenschenkinder verbittert von seinem Sofa aus an die Kandare eines elitaeren Gesetzes nimmt, dessen Geltung weit ueber das Hoheitsgebiet der Literatur hinausfuehrt, genuegt es dem anderen (wenn er nicht gerade als Kriegsberichterstatter im jugoslawischen Buergerkrieg dilettiert), seine nachsichtig umworbenen Leser fuer die Dauer eines Buches aus dem blechernen Zeitalter zu entlassen. Menschen- und Weltenlenker der eine, Buchmagier und Erzaehldruide der andere. Der Schein truegt, was sonst sollte er tun. Der Frieden des Beginns, der dem interesselosen Dahinerzaehlen, von dem der Dichter so viel haelt, schon ganz nahe war, wird jaeh zerstoert. Ein Stein faellt in das bukolische Bild und dem Pharmazeuten auf den Kopf. Der erwacht fuer ein langes Zwischenspiel des Schreckens, verliert seine Sprache und macht sich auf den Weg. Von einem Abenteuer wie in den Ritterromanen ist die Rede. Die Spiessgesellen, ein heruntergekommener Skiweltmeister und ein abgewrackter Dichter, findet der Ritter der Ploetzlichkeit in seinem angestammten Erdkellerlokal, das Reisegefaehrt (sonst ging es bei Handke nur zu Fuss auf Seelenwanderschaft) steht vor seiner Haustuer, ein grosser Wagen - immer das neueste Modell. Und auf gehts, hinein in die Autotunnel Europas, ab ins Herz der Finsternis, wo kein Mensch mehr haust und keine Blume mehr blueht. Hinunter zum Nullpunkt der Literatur, dahin, wo sie angeblich am reinsten und am stillsten ist - im leeren Buch, auf der weissen Seite. Von derartig ehrgeizigen Reisezielen ist allerdings waehrend der kleinen Autofahrt der drei Desperados nicht die Rede. Im Gegenteil: In der europaeischen Allerweltswelt, in der alles gleich aussieht und jeder Tunnel an seinen Ausgangspunkt zurueckfuehrt, ist das Fortkommen der Reisegruppe, ist der Fortgang der Erzaehlung zunaechst in Gefahr. Um hier Abhilfe zu schaffen, greift der Dichter beherzt in die Requisitenkiste des Kunstmaerchens - ein Brief, von unsichtbarer Hand in die Tasche des Apothekers befoerdert, schickt die Reisenden nach Santa Fe, in die Nachtwindstadt, wo die Abenteurer, gefuehrt von dem Mond, einem fremdartigen Sternbild oder schlicht von dem Nachtwind, auch gleich die gesuchte Strasse, das richtige Haus finden. Das alles traegt sich zu auf unauffaellige Weise, weit unterhalb der Peinlichkeitsgrenze, der beruechtigten Handkeschen Wortveredelungs-Technik, der neoromantischen Reflexionspoesie, der Folklore des Urspruenglichen, wie wir sie inzwischen kennen- und fuerchten gelernt haben. Der neue Roman ist ein Maerchen mit allen Vorzuegen der poetischen Kleinbauernprosa des Dichters - dem bedaechtigen Gesang, der sparsamen, beinahe bilderlosen Sprache, der Gelassenheit und kunstvollen Absichtslosigkeit der Beschreibung, dem Willen zum Wunder -, ohne deren Kehrseite, die metaphysische Trachtendiele. Was koennen drei Salzburger Rittersleut, die ausziehen, das Abenteuer zu suchen, in einem modernen Maerchen wohl finden? Der ausgediente Dichter findet in Santa Fe eine Tochter, die als Strassenkoenigin das jaehrliche Stadtfest anfuehrt. Der Apotheker entdeckt in einem der Festmusikanten seinen verstossenen Sohn (eine Studie ueber die verstossenen Kinder und verschollenen Vaeter im Werk des Peter Handke koennte einige Doktoranden beschaeftigen) stellt aber fortan quer durch das angrenzende OEdland einer mordlustigen Witwe nach, die ihn auf einer Zwischenstation nach Art der Penthesilea schlagend und zaehnefletschend in Liebe umfing. Zu Fuss, im bleichblauen Arbeitsgewand, zieht der Apotheker durch die Savanne, Nachfahr der vielen Handkeschen Karst-, Hochland- und Niemandsbuchtlaeufer, die ihr Heil nicht im Dickicht der Staedte, sondern in der Dunkelkammer einer von der Kultur vergessenen Weltgegend suchen. Hier trifft er diverse bekannte Figuren aus dem Werkzeugkasten Peter Handkes. Der Hausierer pfeift munter aus der Ferne herueber. Andreas Loser, der Moerder, Steinewerfer und Lehrer alter Sprachen aus dem Chinesen des Schmerzes, laedt den Apotheker zu einem stummen Taete-a-tte in der Sabana de la Sonora, einer fernen Verwandten des gelobten neunten oder auch sonoren Landes, wie eines der kuenstlichen Paradiese des Dichters einmal hiess. Stumm, einsam, weltverloren ist der Taxhamer Kreuzfahrer in der Steppe am Ziel der Handkeschen Erzaehlkunst: im Zentrum des Nichts und im Kreisverkehr des eigenen Werks, das kunstvoll und eifrig auf sich selber, sonst aber auf nichts mehr verweist. Erzaehlen und Steppe wurden eins, orgelt der Apotheker auf dem Hoehepunkt seiner Irrfahrt, Innen und Aussen durchdrangen einander, wurden, eins am anderen, ganz. Mehr kann der Traeumer absoluter Poesie nicht erreichen. Die wundersame Reise ans Ende der Nacht fuehrt dahin, wo aller Tage Abend ist. Und wirklich haette hier ein grosser Pilz den Pilzfreund ums Haar zu sich ins Erdreich hinabgezogen, waere nicht in letzter Sekunde die Witwe erschienen, den schon in Todesschweiss gebadeten Apotheker und irgendwie auch den Dichter Peter Handke ins Leben zurueckzufuehren: Du bist an die Grenzen der Welt geraten, Freund. Und du bist in Gefahr, jenseits der Grenzen der Welt zu geraten. Deswegen wirst du einen Anlauf zum Neu-Sprechen unternehmen, zum Worte-Neufinden, zum Satzneubilden, laut, zumindest tonhaft. Und wenn dein Reden auch stockfalsch und bloedsinnig ist: Hauptsache, du tust wieder den Mund auf. Ein weiteres Mal zieht das Weibliche den Mann also hinauf. Die Erdfahrt der Erzaehlung ins sechsunddreissigste unterirdische Stockwerk, wo nach Francis Ponge der Dichter sein kosmisches Wortwerk verrichten soll, findet auch in diesem Buch wieder nicht statt. Die beste Erloesung ist die, die nicht eintrifft. So faehrt der Apotheker zurueck zu seinen Pillen, Salben und Saeften und erzaehlt nach vollbrachter Aventuere seinem Bruder Grimm, dem Aufschreiber, das Maerchen von einem, der auszog, eine Geschichte zu finden - und eine Geschichte heimbringt, in der einer erzaehlt, wie er einem erzaehlt, dass er auszog, eine Geschichte zu finden. Es war einmal ein Mann . . . Es war einmal ein Dichter. Dem waren vom vielen Dichten die Worte ganz leicht und der Kopf ganz schwer geworden. Da verliess er sein stilles Haus und zog in den Krieg, zu den wirklichen Dingen und den blutigen Tatsachen. Im Krieg hat er seinen Kopf verloren, und die Worte sind ihm matt und krank geworden. Der Apotheker aus Taxham hat den Dichter geheilt. Er hat ihm kein neues Koenigreich und auch keinen neuen Buergerkrieg versprochen. Aber er hat ihn besaenftigt mit dem Wunderkraut des Maerchens, den Salben der Poesie und den Traenklein der Einfalt. Und so wurde aus dem kriegswuetigen Dichter am Ende ein Koenig. Keiner mit Zepter, Reich und Krone, aber doch einer, dem das Erzaehlen geholfen hat. Peter Handke: In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus Roman Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997 316 S., 48,- DM Autor(en): Radisch, Iris Bildunterschrift: Peter Handke.Ein Koenig, dem das Erzaehlen geholfen hat Aufnahme: Aufnahme: Oliver Herrmann Datenbank ZEIT Dokumentnummer: 9496


A LONG EXCERPT FROM HANDKE'S 2002 NOVEL bildverlust,
[c] 2002 suhrkamp verlag 

 

A LONG EXCERPT FROM HANDKE'S 2002 NOVEL bildverlust,
[c] 2002 suhrkamp verlag

Der Tag, an dem sie aufbrach, war ein Tag mitten in der Woche. Der Sonntag
war jedenfalls noch weit; sie wusste schon, wo sie dann sein wollte, und sie
freute sich darauf. Mit dem jaehen Wetterwechsel, dem Brechen der Kaelte, war
auch das letzte Hindernis fuer ihre Wege- und Unternehmungslust aus der Welt:
den Frost, den andauernden reinen Winter, den sie sich so lang wie moeglich
gewuenscht hatte, wuerde sie dafuer vielleicht auf ihrer Wanderung umso
nachhaltiger mitkriegen, auch wenn diese weit unten im Sueden stattfaende, mit
einem Ausblick vom Pico de Almanzor fast wie schon hinueber nach Afrika (hiess
= al-manzar =arabisch nicht =der Ausblick =? oder kam das Wort eher von
al-mansur, der Siegreiche?, hatte nicht ein siegreicher arabischer Feldherr
und Koenig im Mittelalter hier so geheissen?)
In der Sierra de Gredos wuerde die Gipfelflur, vom Ostmassiv ueber das
besonders hohe Zentralmassiv bis hin, nach fast zweihundert Gratkilometern,
zum Westmassiv, mit Gewissheit (oder ohne jeden Zweifel, wie zur Zeit
unserer Geschichte eins der gang-und-gaebe-Woerter lautete) bis hinunter in
die Hochtaeler verschneit sein und das noch bis in den Fruehling zweifellos
bleiben. Und auch das Sichverschleiern und dann hinter dunklen, vom Westen
her rasch vorrueckenden Wolkenbaenken Verschwinden der in all den Vorwochen so
bestaendigen Januarsonne trug bei zu ihrer alten, neuen, wiedergekehrten
Unbaendigkeit. Das tintige Leuchten des Asphalts, die klaren dunklen
fernfernen Horizonte und das Blau der Oliven, im Kreis den Boden bedeckend
unter den Baeumen an den Suedhaengen der Sierra, wo das gerade die Zeit des Herabschuettelns und Erntens waere! Schon jetzt, tausend Meilen davon weg in ihrem Nordwesten, lief sie ein paar Schritte jenen blauen Erdkreisen
entgegen.Seit ihren Anfaengen hatte sie zu den Pionieren neuer Lebensformen gehoert
(die jeweils ebenso die Wiederkehr vergessener oder wie fuer immer abgetaner
sein konnten). Lebensformen, das hiess da aber nicht Sensationen, unerhoerte
Vokabeln, ohrenbetaeubende Feste, traumhafte Paarungen, zukunftsweisende
Gesellschaften; hiess ueberhaupt nichts sogenannt Zukunfts-, vielmehr bloss
Gegenwarts-Weisendes oder Gegenwarts-Verstaerkendes; hiess auch nichts
OEffentliches und Propagiertes, entstand nur aus ihr und fuer sie selbst, ohne
Hinblick auf die Gesellschaft und nicht einmal eine Gemeinschaft, und wurde
zur Lebensform einzig durch Beispiel und Ansteckung, und weil diese Form
vielleicht ohnehin in der Luft lag; fuehrte auch zu nichts als zu dieser und
jener Gemeinsamkeit mit diesem und jenem, ohne irgendein Cliquen-,
Avantgarde- oder Elitenbewusstsein: solche unverschworenen und sporadischen
Gemeinsamkeiten mit sonst Unbekannten, die nach einem lustigen oder
scheu-ehrerbietigen Grussblick ruhig weiter so unbekannt bleiben konnten,
waren ihr in der damaligen Epoche zwar nicht gerade das hoechste, aber doch
so ziemlich das wahrste der Gefuehle; ihresgleichen, kam ihr vor, brauchte
jedenfalls - zumindest fuer eine Zwischenzeit - keine Gemeinschafts- und
schon gar keine Gesellschaftsgefuehle mehr; worauf sie abzielte, das war ein
von der Gesellschaft und den Systemen unabhaengiges Lebensgefuehl (ausgenommen
natuerlich in ihrem Beruf, der in ihrer Geschichte aber fuers erste nur als
leergelassene unbeschriebene weisse Stelle vorkommen sollte, die angrenzenden
Stellen - alles grenzte ja an sie! - umso kraeftiger hervorhebend und
einfaerbend). Und aus derartigem Lebensgefuehl gestalteten sich in der Regel
ganz selbsttaetig die neuen oder altneuen Lebensformen, die wiederum die
Lebensgefuehle bewahrten und in Schwung hielten.
Welche Formen? Weder Auf-Baeume-Steigen noch In-Eisloechern-Schwimmen. Weder
Dauerlaeufe noch Nachgehen der frueheren Pilgerwege. Weder Pilzexkursionen
noch Hoehlenuebernachtungen. Weder Exerzitien auf dem Berg Athos noch Fahrten
mit der Transsibirischen Eisenbahn. Weder Liebeskongresse noch Teilnahme am
Friedenskorps. Ein Beispiel (das in Wahrheit aber keines ist): als Kind in
dem wendischen Dorf war sie oft, wenn es regnete, aus dem Haus der
Grosseltern ueber den Hof in die Holzhuette gegangen, weil sie dort, hinter den
jeden Windstoss durchlassenden Latten, den Scheitel nah am duennen Blechdach,
dem Geschehen, dem Ereignis =Regen =so viel naeher war, und sie hatte sich
gewundert, dass jeweils nur sie allein dort in Anhoerung und angesichts des
Regens zwischen den Scheiten stand: Lebensform! - aber keiner, der ihr
nachtat und sie mit ihr teilte. Nein, nicht bloss gewundert, sondern mit der
Zeit auch empoert hatte sie sich, dass sie auf diese Weise keine Gemeinsamkeit
stiftete: schon an dem Kind also das spaeter von Artikel zu Artikel
fortgeschriebene Sendungsbewusstsein.
Weiteres Beispiel (das wieder keins ist): Als Schuelerin und auch noch dann
als Studentin hat sie sich bei allen moeglichen offiziellen Anlaessen und
oeffentlichen oder staatlichen Reden alsbaldigst verzogen, ohne jedoch den
Raum zu verlassen: sie blieb dort, machte sich jedoch unsichtbar, indem sie
sich hinter einen Vorhang setzte oder stellte. Und bei solchen Gelegenheiten
gab es immer einen zum Sichverstecken geeigneten Vorhang - sie hatte sofort
ein Auge dafuer, und wenn es kein Vorhang war, so dienten ihr dazu eine
Tafel, eine spanische Wand, ein Kartenstaender, eine Garderobe. Am besten, am
lebendigsten, aber war es hinter einem richtigen Vorhang, womoeglich hinter
dem einer Buehne, vor welcher, an einem Pult oder sonstwo, der Festakt oder
sonstwas vonstatten ging. Im Lauf jener Jahre hockte das Schulkind und
spaeter die Wirtschaftsstudentin bei jedem =Event =(das hiess seinerzeit noch
anders) im Duester hinter so einem Buehnenvorhang und spuerte sich von einem
grundanderen Raum umgeben als dem draussen dort in dem Gesellschaftsbereich,
spuerte eine grundandere Zeit gelten - doch warum kam auch jetzt nie jemand
zu ihr herein? haetten doch selbst die Feinde - sie hatte schon von Kind an
ihre zahlreiche Feindesschar -, wuerden sie zu ihr da hinter den Vorhang
treten, auf der Stelle ihre Feindschaft wenn nicht vergessen, so fuer
Augenblicke - entscheidende - zurueckgestellt?! Wo bleibt ihr, Kerle? Warum
kommt ihr nicht und sagt von mir: So ist es richtig!? Was habt ihr dort
draussen im falschen Licht nur zu suchen, ihr Weltvergessenen? Kassandra?
Nein, sie haette vor denen kein Unheil ausgemalt. Keine
Katastrophenwarnmission. Kein Staatsverrat. Kein Untergangskluengeln. Aber
dennoch Kind, Maedchen, Frau mit Mission?
Erst viel spaeter fand sie mit ihren paar so eigenbroetlerischen Lebensformen
hier und da eine Gemeinsamkeit. Das war aber in einer Periode, da sie laengst
aufgehoert hatte, sich zu wundern und zu aergern, dass niemand ihr nachtat. Dass
zum Beispiel der Vater ihres Kindes unbekannt blieb: nicht wenige Frauen
hielten es damals genauso; und wie sie lebten auch diese Frauen dann so oder
so, ohne einen Mann. Ein anderes, eher geringes Beispiel, mehr in den Alltag
gehoerig als in einen groesseren Lebensbogen: bei einer (allerdings nicht
zaehlenden) Minderheit (allerdings nicht bloss in ihrer Gegend, sondern auf
der ganzen Welt) war es ueblich geworden, keine Musik mehr zu hoeren, nicht zu
Hause und auch nicht im Konzert; bloss ueblich oder beabsichtigte Form? Form.
Und ein anderes, noch nichtigeres Beispiel: eine wieder verschwindende
Minderheit hatte es sich angewoehnt, am Abend in den Haeusern das Licht
auszuschalten und einfach still im Dunkeln zu sitzen, am Fenster oder vor
einer Schattenwand; blosse Angewohnheit oder Form? Form!
Eine derartige neue oder alte Lebensform bildete es auch, wie sie sich jetzt
hin zum Flugplatz bewegte. Sie ging zu Fuss hinaus zum Flughafen, der fast
einen halben Tagesweg von der Nordweststadt entfernt lag; sie wanderte zu
ihrem Flugzeug. Schon vor langem hatte sie mit diesen Wanderungen
angefangen, und unternahm sie, wann immer sie Zeit hatte, und sie hatte, wie
bekannt, grundsaetzlich viel Zeit.
Erstmals war sie damals so in Berlin unterwegs gewesen, von einer
Seitenstrasse des Kurfuerstendamms bis vor den Eingang des Flughafens Tegel.
Obwohl es ein Wochentag war, wurde es in der Erinnerung ein Sonntag. Sie
nahm die Schlossstrasse, zog einen Bogen um das Schloss Charlottenburg, machte
zuvor einen kleinen Abstecher ins AEgyptische Museum, umkurvte den
Schlossgarten auf dem Tegeler Weg, sah sich unversehens neben der Spree
hergehen, das Wasser, das sie aus der Kindheit im wendischen Land als
Rinnsal, nichtig und doch tief, im Gedaechtnis hatte, fast in
Handeintauchnaehe und zugleich als zuenftigen, sich schlaengelnden,
maeandernden, zwischen breit und bachschmal wechselnden Fluss, dann sogar, vor
der Abzweigung des Westhafenkanals, mit einer regelrechten Insel, in
rhythmischen, weitausholenden Schlingen westwaerts vorstossendes Gewaesser in
der Abflussrinne des Urstromtals, mit einer Ahnung der Vorzeit in den
Windmustern und dem Schimmern an den Biegungen, was dem Unterwegssein gar
nichts von seiner Jetzigkeit nahm. Und weiter, damals wie jetzt, von der
Spree abgebogen nordwaerts, am Rand der Stadtautobahn, zur Linken die
Jungfernheide, zur Rechten Ploetzensee, war das noch Berlin?, halbverboten
durch Schrebergaertenkolonien, ebenso Zaeune ueberklettert, Obst von den Baeumen
stibitzt, Stacheldraehte unterschlupft, wilden Hunden ausgewichen (die
freilich jeweils schon frueher, auch, nach dem ersten Scheinvorpreschen,
schneller und bis in die fernsten Winkel auswichen), fluechtende Hasen mit
einem Ruf kurz vor ihrem Dornbusch fuer einen Lauschermoment zum Stehen
gebracht, und ein paar Momente danach die selbsttaetig sich oeffnenden Tueren
der Schalterhalle, Schilder und Lautsprecheraufrufe wie =Moskau =,
=Teneriffa =, =Faro =, =Antalya =, =Bagdad =(schon beim Durchkriechen der
Dornstraeucher hinaus auf die Vorplatzrampe waren die Zielorte ausgerufen
worden, zu hoeren wie aus den gerade gestarteten Flugzeugen zu ihren
Haeupten).

Spaeter ging sie fast noch lieber die umgekehrten Strecken nach einer Landung
daheim in ihrer Gegend zu Fuss von der Landebahn oft ueber Huegel und Taeler bis
direkt vor ihr Haus. Und auch damit blieb sie nicht allein. Nicht wenige
kehrten in der Zwischenzeit, vor allem von langen Reisen, auf solche Weise
zurueck; wanderten das letzte Stueck zu Fuss, was manchmal laenger dauern konnte
als vorher der ganze Flug. In dieser Richtung war ausserdem nicht zu
befuerchten, dass man, wie umgekehrt vor dem Flughafen, am Ende im Pulk
ankaeme: anfangs vielleicht noch eine Zeitlang mehr oder weniger zusammen, im
groesseren oder, beinah immer, kleinen Haufen, zweigte doch einer nach dem
andern dann ab in seine Richtung und kam als alleiniger ans Ziel.
Auch jetzt wurde diese Art von Heimkehrern schon von weitem, im
Entgegenkommen, erkennbar, an dem (taeuschend) leichten Gepaeck, das dabei
doch spuerbar Gepaeck war, vielherumgekommenes (ohne Etikettierung), und an
einem gewissen Selbstbewusstsein des Gehens, geradezu einem Hochmut, so zu
gehen auf dem Randstreifen der UEberlandstrasse und keinen Seitenblick uebrig
zu haben fuer die oft eigens nah an ihnen vorbeipreschenden, auch sinnlos
hupenden Fahrzeuge. Auch untereinander bedachten sie sich hoechstens einmal
kreuz und quer aus den Augenwinkeln: so ein Bedachtwerden freilich als eine
Art Wegzehrung.
Trotzdem wollte sie den Autor dann fuer ihre Geschichte zu einem anderen
Anfang ihrer Reise ueberreden: war so denn nicht schon zuviel verraten
worden, weniger von ihr selbst - da hatte sie vielleicht noch ganz anderes
zu verraten -, als von den Zeitumstaenden, die, wie gesagt, doch eher =ex
negativo =, in dem, was nicht die Vordergruende bildete, geschildert werden
sollten? Der Autor: =Aber handelte es sich denn nicht gerade eben um das? =-
Sie: =Warum mich nicht auf ein Flussboot gehen lassen? Oder: =Sie ging zu dem
grossen neuen Busbahnhof gleich am Stadtrand, von wo mehrmals woechentlich
Busse in saemtliche andere Flusshafenstaedte des Kontinents abfahren, nach
Belgrad, nach Wien, nach Duesseldorf, nach Budapest, nach Zaragoza, nach
Sevilla, und bis hinueber nach Tanger, auf Faehren, einer dieser so heutigen
Busse phantastischer oder traumhafter als der andere, kaum mehr als Busse
erkennbar, Interplanetarfahrzeuge - nur die Uhr in dem Bahnhof noch die
alte, wie bei ihrem, meinem Zuzug vor anderthalb Jahrzehnten, immer noch die
gleiche falsche Zeit anzeigend, fuenf Stunden zu frueh oder sieben Stunden zu
spaet. =
Der Autor: =Was wird dann aber aus der Botschaft in Ihrem Buch? =- Sie:
=Welche Botschaft? =- Der Autor: =Zum Beispiel die von den neuen oder
wiedergefundenen Lebensformen. =- Sie: =Haben Sie denn je eine Botschaft
gehabt? =- Der Autor: =Ja. Noch und noch Botschaften. Aber immer nur solche,
die mein Buch dann unvermutet an mich selber richtete. =- Sie: =Frohe
Botschaften? =- Der Autor: =Bis jetzt fast nur frohe. =
Mit angekratzter Stirn und lehmigen Stiefeln ihre und unsere Ankunft in der
Abflughalle. So viel Luft vorher, und jetzt von einem Schritt zum naechsten
in einem anderen Element. Element? Fast nur mehr die Aussenwelt abhaltende
Drehtueren. Aber auch wo noch eine altertuemliche Tuer kurz offenstand, drang
kein Hauch herein in die Hallen. Auf dem Glanzboden keine Fussabdruecke ausser
den ihren. Nichts als die Schlieren der Kofferraeder und der Gepaeckwagen.
Dabei kein Fussbreit freigelassen; jeder Zoll des Flughafenbodens beansprucht
von Gehenden, Stehenden, Sichanstellenden, Rennenden - ein jeder die von ihm
behauptete gerade Linie einhaltend. Viele in gellenden Selbstgespraechen -
nein, sie schrien so ein auf andere, Abwesende. Doch nicht ein jeder so mit
der Hand am Ohr hielt da ein sogenanntes Mobiltelefon: auch dieser und
jener, der sich in dem Getuemmel einfach bloss die Hand ans Ohr hielt und
stumm blieb.
An einer Stelle jetzt wieder Tropfen wie von Nasenblut, im
Spielwuerfelmuster: einer von den nicht wenigen Passagieren, die gegen eine
Glaswand geknallt waren, die bei einer Spiegelung von aussen sich im Freien
geglaubt hatten? Leuchtende Weltkarten und sich wie vierdimensional drehende
Globen allerwaerts - war das noch der Atlas der Fernen damals aus der
Kindheit? Atlas der Fernen jetzt eher beim Blick aus meinem hiesigen
Zimmerfenster? Wo wollt ihr alle nur hin, bei euch aufgeschwatzten und
aufgezwungenen Zielen, zu Stunden, an Tagen und fuer eine Zeitstrecke, die
wiederum nicht in eurer Hand liegt, die ihr euch fremdbestimmen lassen muesst
und die allesamt, Ziel, Abfahrts- und Rueckkehrstunde, Dauer, nichts zu
schaffen haben sowohl mit eurer einstigen und vielleicht immerwaehrenden
Reiselust als auch eurer weiterhin moeglichen - durch diese Geld- und
Computer-Diktatur jedoch unmoeglich gemachten - spontanen Aufbruchssehnsucht?
Widersprachen die zeitgenoessischen Reisezwaenge nicht dem Recht auf
Freizuegigkeit, einem der Grundrechte der Verfassungen? Dem Beduerfnis nach
Spontaneitaet - der Lust, sich selbst und andere zu ueberraschen? ( =Ende der
Botschaft =)
Wildtaubenfeder auf einem Laufband, und der und jener nahm sie auch in sich
auf. Einige in schwarzen Gewaendern, vor dem Abflug zu einer doerflichen
Beerdigung. Eine Familie schlafend abseits auf einer Bank, auch die Eltern
barfuss. Eine Armee von Tiefglanzbildern, die uns in die Augen stechen und
die Koepfe verreissen, doch nirgends ein Bild, ein lebendes? Kind,
geradeausblickend, das Kunterbunt uebersehend und es uebersehend so auch fuer
mich.
Einzelne Regentropfen im Wegstaub. UEber ein schwarzgebeiztes torbreites und
-dickes Brett vom Landende hinauf auf das Schiff. Wo hatte sie dieses Brett
einst gesehen? Im Schiffahrtsmuseum von Madrid, als Teil des Geraets, mit dem
die Seeleute des spanisch-oesterreichischen Weltreichs ueber die Meere, vor
allem die westlichen, segelten, bis =Westindien =, Venezuela, Mexico. So dick
war das Brett, und so fest lag es beidseits, dass es unter ihren Sohlen auf
dem ganzen Anstieg hinauf zu der Reling keinmal weder schwankte noch
federte. Wann war das jetzt? Im sechzehnten Jahrhundert, um 1556 genau, kurz
nach der Abdankung des Emperadors, des Kaisers Karl des Fuenften, und zur
Zeit seiner UEberquerung, in einer Saenfte, wegen seiner Gicht, der Sierra de
Gredos, auf dem Weg in sein Ruhekloster (San) Yuste an deren Suedauslaeufern.
Und wo war das jetzt? In dem damals groessten spanischen UEberseehafen, dem von
San Lucar de Barrameda, auch halb so ein Flusshafen, am rƒo Guadalquivƒr,
unterhalb von Sevilla, Ablegestelle fuer das Einheimsen des fernen
indianischen Golds. Das Brueckenbrett stand noch nicht aufrecht und mit
Schiffstauen an einer Wand befestigt wie dann im Museum, und es war auch
ungebeizt und salzhell (von den beruehmten Salinen San Lucars, mit dem
=unvergleichlichen Salz zum Stockfischepoekeln =), und sie war darauf so
barfuss wie die schlafende ueberseeische Familie heute, oder wann auch immer,
an wieder so einem Aufbruchsmorgen hier, oder wo auch immer, in der
Flughafenhalle.
Ihre Beruehmtheit war von einer Art, dass sie gleichsam selber darueber
bestimmen konnte, ob man sie erkannte oder nicht. Und so blieb sie in der
Regel unerkannt, auch wenn immer jemand vor ihr stockte und unwillkuerlich
ihr Gesicht und ihre Umrisse in die Luft zeichnete - ohne dann freilich zu
wissen, wohin mit ihr: Zeichnung geloescht.
Solches Undeutlich- und Irgendwer-Werden war freilich schwer durchzuhalten
auf den Flughaefen. Dort wurde sie dann jeweils am haeufigsten erkannt, wohl
oder uebel. Des oefteren uebel. Dass man ihr, indem sie erkannt wurde, uebel
wollte, geschah nie sofort. In vielen Augen war auf den ersten Blick sogar
der Ansatz zu einer freudigen UEberraschung. Beinah haette sich der eine oder
die andere ueber die Begegnung gefreut. Auch den gegen sie Eingenommenen gab
es zunaechst einen Ruck, und sie haetten diese Frau um ein Haar herzlich
gegruesst. Erschien sie doch so grundverschieden von der Vorstellung, die man
sich, nach wieder einer Reportage, einem Artikel, einem Photo, einer
Nachricht, von dieser Fadenzieherin und Puppenspielerin gemacht hatte.
Erst einmal war sie in der Wirklichkeit unvergleichlich schoener. Und dann
zeigte sie sich, im Gegensatz zu ihren bei Gelegenheit mit wie
finster-verschlossenem Gesicht exekutierten Auftritten im Fernsehen, offen
und zugaenglich. Schon aus der Art, wie sie sich bewegte, ging hervor, dass
sie von allem und jedem, an dem sie vorbeikam, eine Einzelheit in sich auf-
und mit sich nahm, unter ihren ausschwingenden Achseln, an den Schlaefen,
hinter den Ohren, in der Biegung ihrer Hueften, an den breiten Knien, und
zwar jene Einzelheit, die fuer einen als Ganzen stand - an jener Einzelheit,
an welcher, von ihr in einem Blickschimmer entdeckt und ins Gedaechtnis
gerufen, man sich seiner selbst erinnerte als einer Gestalt, die rein gar
nichts gemein hatte mit dem Typ oder der Rolle in der aktuellen Situation
jetzt.
Ein Schub, und gleich wieder vorbei. Die Aufmerksamkeit und das freundliche
Mitgehen der Person da waren bloss gespielt. Wusste man denn nicht allgemein,
dass sie in ihrer Jugend, bevor sie in ihre paar anderen Vor-Berufe - vor dem
heutigen - wechselte, der Star eines Films gewesen war (eines Film uebrigens,
der immer noch in bestimmten Kinos nicht nur in Europa gezeigt wurde, auch
in Zwischenschnitten waehrend ihrer Televisionsauftritte: eine Geschichte aus
dem Mittelalter, worin sie, Laienspielerin unter anderen, Ginevra, die Frau
des Koenigs Artus, dargestellt hatte, zugleich die Raetselgeliebte - Geliebte
oder nicht? - des Ritters Lancelot).
Die Epoche, die Zeit ihrer Geschichte von jetzt, war eine des inzwischen
schon nicht mehr zu ueberbietenden Misstrauens. Keiner mehr glaubte dem
andern. Oder jedenfalls glaubte man einander weder die Zuneigung noch das
Freundlichsein, weder das Erbarmen noch die Lust, und erst recht nicht
gleichwelche Liebe. Sogar wenn einer nur so strahlte und jauchzte, wurde
seine Freude ihm nicht abgenommen - und selbst, wenn das ein Kind war. Einer
konnte schreien vor Schmerz - doch nach einem allzu kurzen Innehalten und
Bedenklichwerden des Gegenuebers kam von diesem bloss noch ein schiefer Blick:
nicht allein des Misstrauens - der Missachtung.
Keines der wahren oder vielleicht urspruenglichen Gefuehle fand mehr auf eine
Dauer Glauben, es sei denn Hass, Ekel, Verachtung. Waren das
Ursprungsgefuehle? Die Ursprungsgefuehle seit dem Beginn der Zeiten? Es war
jedenfalls die Epoche der nicht nur schadenfrohen, vielmehr der boesen
Zuschauer. Vielleicht nicht auf den ersten oder zweiten Blick, aber auf
einen spaeteren, dafuer wie endgueltigen, wollten sie dem, der ihnen unter die
Augen kam, uebel. Die Schoenheit dieser Frau jetzt: o ja! Doch der Funken
Freude und des Sich-Besinnens davor schlug, im Kopfwegdrehen, um in eine
Gewaltvorstellung: ihr fuer ihre Schoenheit weh tun; sie dafuer erniedrigen;
sie dafuer bestrafen. Gab es das: den Ur-Hass, die Ur-Wut, den Ur-Ekel, erst
einmal ungerichtet, und dann wie erloest seine Richtung findend, gegen das so
allerseltene Schoene? Ich Zuschauer als Richter und Henker? Derart erloest von
meinem Hassen?
Gerade die Flughaefen schienen damals-jetzt zu einem der Austragungsorte
geworden fuer den Spielverderb der Millionen der boesen Zuschauer. Deren
Feindseligkeiten konnten in dieser Umgebung zumindest keine Linderung finden
(die andererseits erhoffte? denn litt nicht ich selber unter meiner
Blindwuetigkeit?). Waren es die Luftabgeschlossenheit und das allgegenwaertige
kuenstliche Licht - selbst an den Stellen, wo das Tageslicht, das von aussen,
genuegt haette -, die uns zusaetzlich reizten? Oder auch die daselbst
unvermeidliche, das Boese hervorkitzelnde Ungeduld? Die Flughaefen,
insbesondere die grossen - und es gab fast nur noch grosse oder gar
gigantische - reizten zum Feindseligwerden. Und einer, der schon vorher vage
ein Feind gewesen war, verwandelte sich, wenn wir einander da zufaellig
begegneten, gleichsam in der Regel, in einen entschiedenen, endgueltigen
Feind (ohne Worte - gerade weil wir kein Wort wechselten).
So kreuzte sie jetzt einen ihrer Berufsfeinde, der zwar spuerbar ganz
woandershin unterwegs war, aber in dem labyrinthischen Komplex ihr immer
wieder ueber den Weg lief oder vor, hinter oder sogar neben ihr herging.
Zuletzt war er wachsbleich geworden, und sie hoerte seine Zaehne knirschen vor
Hass, waehrend er sich eine Zigarette anzuendete mit einem so heftigen
Feuerzeugklicken und einer so uebertriebenen Flamme, als fachte er einen
Scheiterhaufen an, und zugleich mit seinem Metallkoefferchen in die luftlose
Luft hieb. Und ebenso waren auch die zahllosen Unbekannten, speziell vor
ihrem bekannten Gesicht, zu einem rueden Affront bereit. Der konnte
unvermutet stattfinden, aus einem seitlichen Korridor heraus, beim UEberholen
auf einem Rollband, in ihrem Ruecken begangen von einem Unsichtbaren - der
das auch blieb, entweder weil er, den Angriff ausgefuehrt, gleich wieder
verschwand, oder weil sie sich ohnedies keinmal nach so einem umdrehte.
In jener Stunde vor dem Abflug wurde dann eine Stimme hoerbar, nah an ihrem
Ohr, die Stimme einer Frau, nicht leise, nur zittrig, vor Wut? vor Alter?:
=Du sollst dich schaemen. Schande hast du gemacht deinem Vater und deiner
Mutter und deinem Land. Schandweib! =Reiz des Schoenen? Es war, als sei
dieses in der Zwischenzeit zu einem boesen Reiz geworden - ihre Art der
Schoenheit reizte zum Boesewerden? Und wie nahm die so Geschmaehte das auf?
Einerseits ging es an ihr, der froehlich Eltern- und Heimatlosen, vorbei.
Doch andererseits weckte und vertiefte es, als blosser Anwurf, das Bewusstsein
von ihrer Schuld - keine Stunde, da es sich nicht unvermittelt, zwischen
zwei Schritten, in ihr Leben einmischte. Und wieder andererseits: Eine
Ameisenstrasse dort neben dem Laufband! Die tote Taube, wie schon seit
Jahren, skeletthaft, hoch oben auf der Glaskuppel. Das Palmenrasseln von
Jericho. Oder sind und waren das die ebenso riesigen Palmen von Nablus? Ganz
allein hatte sie in der Sonne auf einer leeren Terrasse gesessen, sass sie,
sitzt sie, mit Blick auf die Wueste; wird sie dort gesessen haben. Der Hund
halb eingerollt im Sand, an seinem Bauch ebenso die viel kleinere Katze.
Mit den Bildern hielt sie sich die Angreifer nicht bloss vom Leibe. Sie
schlug sie damit zurueck. Das jeweilige Bild diente ihr ebenso als Ruestung
wie auch, sooft es um mehr ging als um friedliches Entwaffnen, als Waffe.
Mit den Bildern hatte sie es in der Hand, den anderen buchstaeblich
niederzumachen und =auszuschalten =. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, und
ohne von dem Bild etwas mitzubekommen, schlug dieses auf ihn ein, ausgesandt
von ihren Brauenboegen oder Schulterblaettern, und traf ihn mit der Wucht
eines elektrischen Schlags, der ihn durchfuhr von den Fusssohlen hinauf bis
in den Scheitel.
So wurde jetzt dem einen Berufsfeind sein Metallkoffer weggeschmettert durch
die Halle, und er taumelte dahinter her. So kam jetzt von der fortgesetzt
auf sie einfluesternden Altweiberstimme in ihrem Ruecken ein Sticklaut, und
einen Augenblick spaeter war die Spukfigur mit einem der nadelspitzen
Palmenfaecher von Nablus oder Jericho von der Szene gefegt. Jedenfalls wollte
sie, dass der Autor in ihrer Geschichte diese Episoden einfliessen liesse. Der
Autor: =Sie sind demnach erfunden? =- Sie: =Nein. Wirklich passiert, zum
Weitererzaehlen. =
Im Abflug war es, als sei es nicht mehr, wie noch gerade am Morgen, Anfang
Januar; als liege der Winteranfang laengst hinter einem, und man befinde
sich, bei tiefen dunklen Vorregenwolken, irgendwann mitten im Jahr, oder die
Handlung werde fortgesetzt zumindest einen guten Monat spaeter. Eine Distel
ragte aus der Betonpiste. Die Waldrebenbaeusche unten dann am Pistenrand
verblueht, kein Silberglanz mehr in dem Grau; und auch ihre winterliche
Girlandenform welk durchhaengend. Und eine dieser verbrauchten Girlanden im
Starten hinauf an ihre Fensterluke wirbelnd und gegen das Glas der
Flugzeugluke schlagend mit einem weltfernen Geraeusch, wie an eine
Kutschentuer. Und Augenblicke vorher das Rumpeln der Raeder als das eines
Busses in den Schlagloechern einer Pyrenaeenstrasse. Und draussen auf dem
Rollfeld dahinstiebend und sich ueberschlagend die losgerissenen
Dornstrauchkugeln aus der Praerie, in Schwaden von Wuestenstaubwolken, die
bildgleiche Vorwegnahme der Sequenz, eine Stunde oder wieviel? spaeter, des
Films des ueber den Koepfen der Passagiere laufenden Films, sichtlich gedreht
in dem Nacktbraun, dem wie endgueltigen und unveraenderlichen, des iberischen
Tafellandes, in welches das nordwestliche Gruen da laengst uebergegangen sein
wird.
=Liebesreise! =hatte sie da gedacht, ein Auge auf dem Film zu ihren Haeupten,
ein Auge auf der Landschaft tief unter der Maschine, und sich dabei aus der
Luft, aus dem Film, angeschaut gefuehlt, ruhig, starr, aus dem Abstand,
unnahbar, so nah, wie jemand und etwas nur sein konnte. Begehren setzte ein,
oder wurde akut, rueckte in die Mitte. Denn ihr Begehren war immer da, war
bestaendig. =Kein Moment, in dem ich nicht begehre =, erzaehlte sie dem Autor,
und sie sagte das sachlich, als eine Selbstverstaendlichkeit. =Begehren oder
Sehnen? =(der Autor). - =Begehren und Sehnen. =
Bloss war ihr Begehren von einer Art, dass es kaum einem Gegenueber je als ein
solches kenntlich werden konnte (und es war wohl auch nicht ihm zugedacht?).
Wer es ueberhaupt wahrnahm, dem jagte es eher Schrecken ein. Egal, ob ich
gemeint bin oder nicht: nur weg von hier! Sie ist irre geworden. Was fuer
eine rauhe Stimme sie hat. Und was fuer Grimassen sie zieht. Sie wird mir den
Kopf abreissen. Sie wird mir ihr Schwert in das Herz stossen. Oder sie wird
mich schlicht anspeien und mir ihre neun Zungen zeigen. Oder sie wird dem
Kind auf dem Sitz neben ihr den Hals umdrehen. Oder sie wird sich mitsamt
diesem Kind da durch den Notausgang in die Tiefe stuerzen, ueber dem rƒo Ebro
jetzt, ueber dem rƒo Duero jetzt, auf die dort unten jetzt sich naehernde
spielklotzkleine Kathedrale, =Unserer Frau von der Saeule =geweiht, von
Zaragoza, der nicht mehr nord-, sondern schon suedwestlichen Flusshafenstadt:
durch die Reihe, Maenner wie Frauen, selbst die Kinder und selbst die Tiere,
ergreifen wir auf der Stelle die Flucht vor dem Sehnen, dem Begehren, dem
Erfuelltsein, dem Hilflossein - alles in einem - dieser Wilden. Auf dem
Kuechentisch in ihrem leeren Anwesen die Passionsfrucht, oder ein
Granatapfel? oder eine Zitrone?, daneben das zurechtgelegte Messer, von den
durch die Schalen der Frucht dringenden Fruchtfleisch-Schwaden bedunstet.
Liebesreise? Liebe? Zu jener Zeit war das Wort =Liebe =rasant im Umlauf.
(Sie hatte dem Autor nahegelegt, ihre Geschichte ab und zu durch eher
abgeschmackte oder saloppe Ausdruecke wie =rasant =ein wenig =einzuschmutzen =
und zu zerknittern.) Nicht nur gab es keinerlei Scheu mehr, das Wort =Liebe =
auszusprechen, und warum nicht gleich mehrmals taeglich. Es kam auch staendig
durch die Mikrophone und Lautsprecher, in den Kirchen ebenso wie auf den
Bahnhoefen, in den Konzerthallen, Sportstadien, Gerichtssaelen, selbst
Pressekonferenzen; es stand, und nicht als Kleingedrucktes, rot auf weiss,
auf jedem zweiten Wahl- und Reklameplakat, funkelte heraus aus jeder dritten
Leuchtschrift.
=Liebevolle Puenktlichkeit =, so ging ein Werbespruch fuer den Zugverkehr: was
hiess, dass die Zuege, statt zu spaet, zu frueh fuhren, und man sie immer wieder
versaeumte. Bei den inzwischen taeglichen Hinrichtungen, in Texas, oder
sonstwo, wurde den Delinquenten, die Giftspritzen schon in Adernkontakt,
regelmaessig der Korintherbrief, =... das Groesste von allen aber ist die
Liebe =, vorgelesen. Nichts als Liebessongs, gesendet Tag und Nacht von Radio
=Sehnsucht =oder vom Kanal =Siebenter Himmel =, schallten durch die
Untergrundstationen und die Suburb-Bahnhoefe, wo, gleichfalls Tag und Nacht,
Schwerbewaffnete patrouillierten und die riesenhohen Metallsperren, laengst
unueberwindlich nicht nur fuer Kinder und alte Leute (die dort ohnedies
Platzverbot hatten), hinter den schnell-schnell durchgeschluepften
gluecklichen Besitzern eines zum Glueck gueltigen Tickets - hinter den =lieben
Fahrgaesten =- fersennah zuschlugen mit einem durch saemtliche Metroschaechte
und Vororttunnels widerhallenden, in derselben Sekunde mehrtausendfach
wiederholten und verstaerkten Stahlgedonner, zu =Love Me Tender =und =Die
Liebe ist ein seltsames Spiel =von Radio Paradiso oder Radio Nostalghia.
Nach einer Epoche eines nicht faulen, sondern kerngesunden, kraeftigen und
zuversichtlichen Friedens, da viele von uns sich ihrer Zeit, =unserer Zeit =,
der Jetztzeit, gefreut hatten, herrschte wieder das Dunkel einer
Vorkriegszeit. Es war das aber ein Vorkrieg, wie es ihn vielleicht noch nie
zuvor gegeben hatte. Der Frieden bestimmte weiter das Bild, allgegenwaertig
das Wort =Frieden =, von Flugzeugen in den Himmel geschrieben, von
Fackeltraegern in die Nacht gebrannt, genauso wie die =Liebe =.

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Belletristik

Peter Handke: Lucie im Wald mit den Dingsda. Eine Geschichte. Suhrkamp Verlag,Frankfurt am Main 1999. 90 S., mit 11 Skizzen des Autors, 28 Mark.
Waldweben
Kurios einleuchtend: Peter Handkes Kunstmaerchen Lucie im Wald mit den Dingsda
von Gustav Seibt

Lucie, die kindliche Heldin in Peter Handkes neuer Geschichte, bewundert ihre Mutter, eine Polizistin, fuer allerlei - unter anderem deshalb, weil diese beim Tuerenschliessen, im Haus oder sonstwo, nie, nicht im leisesten, je eine Klinke drueckte. Von der Eichendorffschen Sehnsucht hat man gesagt, das Posthorn, das in diesem Gedicht durchs stille Land erklingt, unterbreche die Stille nicht so sehr, als dass es diese ueberhaupt erst hoerbar mache. Handke gelingt etwas noch viel Gewagteres: Er laesst uns vor geknallten Tueren zusammenzucken durch den Superlativ von leise.

Jemandem vorzuhalten, dass er nie, nicht im Leisesten, je eine Klinke druecke, laesst auf unerfreulich nervoese Nahverhaeltnisse schliessen. So kurios privatistisch wirkt alles in dem neuen Handke-Buechlein, das sich auch wie ein verschluesselter Kassiber aus einer Kleinfamilienhoelle mit Vater, Mutter und Kind liest. Nicht selten sind ja Familien Pflanzstaetten bizarrer sprachlicher Sonderentwicklungen und insofern poetisch-mythologisch ueberaus fruchtbar. Und was fuer ein wunderbarer, maerchenhafter, komischer Text ist jetzt bei Handke daraus geworden! Dieser Autor ist sein eigener schlimmster Feind, denn waehrend seine letzten Erzaehlwerke laengst die Felsschroffen eines grotesk verwitternden Humors erklommen haben, lenkt er selbst davon ab, indem er die OEffentlichkeit mit bombastischen serbischen Andersmei-nungen quaelt. Handkes neuer Humor wurde schon in seinem letzten Roman (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) fast ueberall verkannt, und wer weiss, vielleicht zuendet er auch jetzt nicht im Leisesten.

Lucie im Wald mit den Dingsda ist ein Kunstmaerchen, also eine Geschichte, die so naiv und drohend-tiefsinnig daherkommt wie ein Volksmaerchen, in Wirklichkeit aber ein ausgekluegeltes Dichterartefakt ist. Es geht los in einem Haus, das zwischen zwei Kinderwelten gelegen ist: Nach hinten geht es auf einen struppigen, dichten Wald, auf eine alte Maerchenlandschaft, nach vorn auf eine moderne, schimmernde Grossstadt am Meer, die gut zur Kulisse eines Comics taugen koennte. Im Wald ist sonderlingshafte Vaterwelt, in der Stadt arbeitet die Mutter als Polizistin. In der Mitte lebt das zehnjaehrige Kind Lucie, das aber nicht so heisst, sondern nur so heissen will, im UEbrigen auch erst sieben ist, aber gern aelter waere. Ein Maerchen ist der Text auch deshalb, weil er erst einmal beginnt wie der Wunscherfuellungstraum des Kindes, das schoener heissen und aelter sein darf als in Wirklichkeit.

Die Geschichte, die sich zwischen Vater, Mutter und Kind entfaltet, ist so wurzelholzhaft verzwirbelt, dass sich eine Nacherzaehlung verbietet. Offenbar moegen sich die Eltern nicht recht, und auch das Kind schwankt in seinen Sympathien. Die Mutter knallt Tueren, der Vater stammelt ellenlange Saetze und sammelt unappetitlich riechende Waldfruechte. Diesen wortgewaltig stotternden Waldgaenger meint man aus Handkes Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht (einem Maerchen aus den neuen Zeiten!) von 1994 zu kennen, wo er als Pilze sammelnder Rucksacktraeger durch die Laubwaelder um Paris streift. Um die von Lucies Vater gesammelten Waldfruechte, deren Bezeichnung vielleicht zwanzig Mal wechselt (von Mulm ueber Dingsbums und Dickfuss zu Waeldersattsamkeiten) wird ein geheimnisvolles Gewese gemacht, denn diese sich zu Zwergen auswachsenden Waldwesen muessen am Ende dem Kind helfen, den asozialen Vater aus dem Gefaengnis zu retten, in das der Koenig der Stadt ihn geworfen hat - in der zweiten, etwas bedeutungshuberischen Haelfte dieses Kunstmaerchens. Was sind diese Dingsda aus dem feuchten Waldesinneren eigentlich? Wir vermuten: Woerter, die Fruechte der Dichtung, die irgendwann zauberisch selber laufen lernen und die neue Welt drunten in der Stadt anstaunen.

Die Aufloesung der Maerchenhandlung - Rettung und Versoehnung der Eltern durch das Kind, die Rueckkehr der Familie aus der Seestadt ins Waldhaus - hat den Zauber eines Jean Paulschen Wunders. Die Dingsda haben ihren Dienst getan, die Welt liegt in strahlender Schoenheit, und auf einmal faellt ein Satz, der vermutlich ein Zitat ist (aus Goethes Wanderjahren, aus Stifter oder doch von Jean Paul?), jedenfalls aber so klingt: Das Schweigen versprach sich selber Schweigen und zeigte sich voller Liebe. Handkes Text steht auf der Hoehe solcher Poesie: Jedes Wort wirkt notwendig, aber man kann eigentlich nicht sagen warum, alles wirkt abwegig, zugleich aber auf eine suggestive Art vertraut. Das ist maerchenhaft und in einem intellektuellem Sinn ueberaus romantisch. Und was tut die gerettete Familie am Ende? Sie sitzt zusammen an einem recht komischen, kurios einleuchtenden, sehr wohlklingenden Ort, auf der Waldwaertsveranda.

Peter Handke: Lucie im Wald mit den Dingsda. Eine Geschichte. Suhrkamp Verlag,Frankfurt am Main 1999. 90 S., mit 11 Skizzen des Autors, 28 Mark.
Berliner Zeitung vom 04.09.1999



 

Lucie en el bosque con estas...
PETER HANDKE
Traduccion de Eustaquio Barjau. Alianza, 2001. 67 paginas, 1.900 pesetas

Hace un par de anos hablabamos desde estas mismas paginas de El ano que pase en la bahia de nadie, del austriaco Handke, y ya entonces comentabamos el singular modelo narrativo del autor. Handke no solo se habia enfrentado dialecticamente a los grandes nombres de la literatura germana actual, como Boll o Grass, sino que su literatura resultaba ser una radical alteracion de los postulados, de los cimientos, sobre los que se habia asentado la literatura centroeuropea de decadas precedentes. El nuevo titulo de Peter Handke, Lucie en el bosque con estas cosas de ahi, continua la misma linea formal que ya conocemos de entregas anteriores. Eso si, sin el empaque ni la consistencia de aquellas. En este caso se trataria de un cuento, o, en el mejor de los casos, una novella, sin la complejidad estructural de La mujer zurda o El largo camino a casa.
Acabo de utilizar el termino cuento en el sentido mas amplio de la palabra, pues no solo su extension, sino su forma, contenido y elementos constituyentes se asemejan poderosisimamente a aquellos propios de los cuentos tradicionales. Aunque la accion transcurre en el momento actual, el lector tiene la sensacion de haber sido trasladado a un mundo de hadas y duendecillos mas propio del romanticismo de epocas preteritas que del pragmatismo de la actual. La protagonista de la historia es Lucie, una nina de siete anos que vive con sus padres en un pequeno pueblo cerca del bosque y del mar. La madre trabaja en la policia, es atractiva, limpia, energica y resuelta, en tanto que el padre es todo lo contrario, inseguro y dubitativo, trabaja de jardinero y su aspecto es bastante desaseado. Le gusta pasear por el bosque recogiendo setas y cuanto la naturaleza depara y suele hablar con frases larguisimas que resultan incomprensibles. No resulta extrano que Lucie sienta una mayor atraccion por su madre que por el padre. Sin embargo, la nina comienza a parecerse progresivamente al padre. Un dia, sin previo aviso, el padre es detenido; el, como la mayoria de sus vecinos son exiliados, y Lucie va a hablar con el rey para que lo liberase. Lleva con ella un canastillo de setas, que resulta ser el plato preferido del rey...
Las aproximaciones al texto pueden ser tremendamente diversas: parece tratarse de una metafora, pero al mismo tiempo la experimentacion narrativa es la piedra angular del relato. Desde la primera frase, Lucie se llamaba en realidad de otra manera nos encontramos atrapados en un mundo de dualidades, aquellas de la realidad-fantasia; la montana y el mar, el padre y la madre; la seguridad y la incertidumbre... Y es esa continua incertidumbre la que acompana el proceso de maduracion de la protagonista, en lo que resulta ser un autentico Bildungsroman . Lucie en el bosque... es un relato que sera convenientemente explotado por la nueva escuela de ecocriticos.

Jose Antonio GURPEGUI

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Belletristik

Peter Handke: Lucie im Wald mit den Dingsda. Eine Geschichte. Suhrkamp Verlag,Frankfurt am Main 1999. 90 S., mit 11 Skizzen des Autors, 28 Mark.
Waldweben
Kurios einleuchtend: Peter Handkes Kunstmaerchen Lucie im Wald mit den Dingsda
von Gustav Seibt

Lucie, die kindliche Heldin in Peter Handkes neuer Geschichte, bewundert ihre Mutter, eine Polizistin, fuer allerlei - unter anderem deshalb, weil diese beim Tuerenschliessen, im Haus oder sonstwo, nie, nicht im leisesten, je eine Klinke drueckte. Von der Eichendorffschen Sehnsucht hat man gesagt, das Posthorn, das in diesem Gedicht durchs stille Land erklingt, unterbreche die Stille nicht so sehr, als dass es diese ueberhaupt erst hoerbar mache. Handke gelingt etwas noch viel Gewagteres: Er laesst uns vor geknallten Tueren zusammenzucken durch den Superlativ von leise.

Jemandem vorzuhalten, dass er nie, nicht im Leisesten, je eine Klinke druecke, laesst auf unerfreulich nervoese Nahverhaeltnisse schliessen. So kurios privatistisch wirkt alles in dem neuen Handke-Buechlein, das sich auch wie ein verschluesselter Kassiber aus einer Kleinfamilienhoelle mit Vater, Mutter und Kind liest. Nicht selten sind ja Familien Pflanzstaetten bizarrer sprachlicher Sonderentwicklungen und insofern poetisch-mythologisch ueberaus fruchtbar. Und was fuer ein wunderbarer, maerchenhafter, komischer Text ist jetzt bei Handke daraus geworden! Dieser Autor ist sein eigener schlimmster Feind, denn waehrend seine letzten Erzaehlwerke laengst die Felsschroffen eines grotesk verwitternden Humors erklommen haben, lenkt er selbst davon ab, indem er die OEffentlichkeit mit bombastischen serbischen Andersmei-nungen quaelt. Handkes neuer Humor wurde schon in seinem letzten Roman (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) fast ueberall verkannt, und wer weiss, vielleicht zuendet er auch jetzt nicht im Leisesten.

Lucie im Wald mit den Dingsda ist ein Kunstmaerchen, also eine Geschichte, die so naiv und drohend-tiefsinnig daherkommt wie ein Volksmaerchen, in Wirklichkeit aber ein ausgekluegeltes Dichterartefakt ist. Es geht los in einem Haus, das zwischen zwei Kinderwelten gelegen ist: Nach hinten geht es auf einen struppigen, dichten Wald, auf eine alte Maerchenlandschaft, nach vorn auf eine moderne, schimmernde Grossstadt am Meer, die gut zur Kulisse eines Comics taugen koennte. Im Wald ist sonderlingshafte Vaterwelt, in der Stadt arbeitet die Mutter als Polizistin. In der Mitte lebt das zehnjaehrige Kind Lucie, das aber nicht so heisst, sondern nur so heissen will, im UEbrigen auch erst sieben ist, aber gern aelter waere. Ein Maerchen ist der Text auch deshalb, weil er erst einmal beginnt wie der Wunscherfuellungstraum des Kindes, das schoener heissen und aelter sein darf als in Wirklichkeit.

Die Geschichte, die sich zwischen Vater, Mutter und Kind entfaltet, ist so wurzelholzhaft verzwirbelt, dass sich eine Nacherzaehlung verbietet. Offenbar moegen sich die Eltern nicht recht, und auch das Kind schwankt in seinen Sympathien. Die Mutter knallt Tueren, der Vater stammelt ellenlange Saetze und sammelt unappetitlich riechende Waldfruechte. Diesen wortgewaltig stotternden Waldgaenger meint man aus Handkes Roman Mein Jahr in der Niemandsbucht (einem Maerchen aus den neuen Zeiten!) von 1994 zu kennen, wo er als Pilze sammelnder Rucksacktraeger durch die Laubwaelder um Paris streift. Um die von Lucies Vater gesammelten Waldfruechte, deren Bezeichnung vielleicht zwanzig Mal wechselt (von Mulm ueber Dingsbums und Dickfuss zu Waeldersattsamkeiten) wird ein geheimnisvolles Gewese gemacht, denn diese sich zu Zwergen auswachsenden Waldwesen muessen am Ende dem Kind helfen, den asozialen Vater aus dem Gefaengnis zu retten, in das der Koenig der Stadt ihn geworfen hat - in der zweiten, etwas bedeutungshuberischen Haelfte dieses Kunstmaerchens. Was sind diese Dingsda aus dem feuchten Waldesinneren eigentlich? Wir vermuten: Woerter, die Fruechte der Dichtung, die irgendwann zauberisch selber laufen lernen und die neue Welt drunten in der Stadt anstaunen.

Die Aufloesung der Maerchenhandlung - Rettung und Versoehnung der Eltern durch das Kind, die Rueckkehr der Familie aus der Seestadt ins Waldhaus - hat den Zauber eines Jean Paulschen Wunders. Die Dingsda haben ihren Dienst getan, die Welt liegt in strahlender Schoenheit, und auf einmal faellt ein Satz, der vermutlich ein Zitat ist (aus Goethes Wanderjahren, aus Stifter oder doch von Jean Paul?), jedenfalls aber so klingt: Das Schweigen versprach sich selber Schweigen und zeigte sich voller Liebe. Handkes Text steht auf der Hoehe solcher Poesie: Jedes Wort wirkt notwendig, aber man kann eigentlich nicht sagen warum, alles wirkt abwegig, zugleich aber auf eine suggestive Art vertraut. Das ist maerchenhaft und in einem intellektuellem Sinn ueberaus romantisch. Und was tut die gerettete Familie am Ende? Sie sitzt zusammen an einem recht komischen, kurios einleuchtenden, sehr wohlklingenden Ort, auf der Waldwaertsveranda.


Peter Handke: Lucie im Wald mit den Dingsda. Eine Geschichte. Suhrkamp Verlag,Frankfurt am Main 1999. 90 S., mit 11 Skizzen des Autors, 28 Mark.





Berliner Zeitung vom 04.09.1999





M

Milosevices

Peter handke recidive. L a ecrivain, dont on connat les opinions proserbes, a ete vu, a la stupefaction generale, au proces de Milosevic a La Haye. Il a ainsi declare a une journaliste que =de toutes les ethnies des Balkans, les Serbes sont les moins nationalistes = et que =ce sont les mouvements nationalistes en Croatie, en Bosnie-Herzegovine et au Kosovo qui ont oblige les Serbes a reagir. [ ] La Serbie naa jamais mene de guerre daagression contre aucun pays =. =Tous les hommes, a-t-il meme ajoute, devraient venir au secours de la Serbie et de Slobodan Milosevic. = Ces propos furent repris dans le quotidien berlinois =Junge Welt =, qui fut oblige ensuite de saexcuser de les avoir publies sans son autorisation. N importe: le discours du Mussolini des Balkans a La Haye avait =impressionne = son thuriferaire, qui jugea quail avait su trouver =des mots merveilleux =. Laauteur de =la Perte de l aimage = a perdu, surtout, une bonne occasion de se taire. Ruth Valentini







Nouvel Observateur N 1840







Vu par son traducteur











Il m'aime bien, je crois, dit de Peter handke son traducteur, Georges-Arthur Goldschmidt. J'imagine qu'il me voit comme une espece de gros chien. Les traducteurs selon moi doivent etre comme ces boeufs de la cathedrale de Laon : invisibles au visiteur ordinaire. Si j'ai signe d'un pseudonyme d'ailleurs transparent, Georges Lorfevre, =orfevre= se disant =Goldschmied= en allemand son voyage si controverse en Serbie, ce n'est nullement par desaveu, mais par desarroi : c'est un texte magnifique, dont je ne savais quoi penser. J'ai tout de suite admire le courage, avec le pressentiment que son temoignage se trouverait circonstanciellement en porte-a-faux. Il m'est alors apparu plus que jamais que Peter ecrivait d'=ailleurs=, et qu'il etait irreductible a toutes les conventions. = Propos recueillis par J.-L. E.



Nouvel Observateur N 1840



Son adieu a l'Autriche



handke le maudit



Devenu etranger a son pays ou l'extreme-droite prend le pouvoir, Peter handke publie un roman qu'on peut lire comme une parabole de l'Autriche triomphante et xenophobe







Tu es dans le mauvais pays, tu es dans un pays aussi petit que mechant ; plein de prisonniers qu'on oublie dans leurs cellules et plus plein encore de geoliers oublieux, plus solidement en poste apres chaque mefait... = De loin en loin, Peter handke revient a l'Autriche, au pays =aussi petit que mechant =, comme on revient a une punition. Jamais au hasard. Il n'y a pas de place pour le hasard la ou regnent la fatalite, la derision, la haine, et les errances du poete sont gouvernees par de puissants motifs. Aussi son nouveau roman, =Par une nuit obscure je sortis de ma maison tranquille =, reveille-t-il des ombres qu'on croyait mortes parmi les ombres, dissoutes a jamais dans l'Europe sans patrie ni frontiere des marchands, a l'instant meme ou le =mauvais pays = consacre le triomphe de Joerg Haider, politicien xenophobe qui appelait naguere a respecter les Waffen SS et vantait la politique de l'emploi de Hitler. Un natif de Carinthie de surcrot, comme lui Peter handke, de ce vieux duche slovene qui avait vote son rattachement a la toute jeune Yougoslavie en 1920, pour fuir l'imperialisme autrichien. Les voies du nationalisme sont impenetrables. L'Autriche, handke l'a quittee pour toujours en 1987, d'abord pour un long voyage a pied en Yougoslavie, justement, comme un refugie, descendant de refugie, dans les pas de sa mere et avant celle- ci du pere de sa mere, persecute et menace de mort par les germanophones pour s'etre arrache aux serres de l'aigle imperial. L'Autriche il ne l'habite plus, quel besoin ? C'est elle qui l'habite. =Ah, ne en Autriche ! Mais qui pourrait vivre sa vie entiere dans l'horreur et l'angoisse ? Laisse enfin saigner ton coeur et parle ! =, s'exclame le narrateur de =Par une nuit obscure... = C'est un livre etrange, mais en connat-on un seul de lui qui ne le soit pas ? Un peu comme Kafka ou comme Virginia Woolf, ou encore Lewis Carroll, handke est un raconteur qui transporte son oeil, sa grammaire et son paysage mental de livre en livre. A chaque fois il a l'air modeste du monsieur qui ne fait jamais qu'ouvrir sa trousse aux petits faits vrais. Il a cette simplicite inquietante des ecrivains qui ne ressemblent qu'a eux-memes, mais qui sans qu'on y prenne garde vous font traverser les apparences. C'est ecrit en handkien, une langue aussi spontanee et mysterieuse que les champignons pour lesquels se passionne le pharmacien de Taxham, une localite des environs de Salzbourg, heros de cette epopee. Au vrai, le tenancier de la pharmacie =A l'aigle =, ainsi nommee en raison du rapace de pierre qui perpetue, non loin sur l'autoroute, le souvenir du Reich, et qui tient encore entre ses pattes de granit la croix gammee, a deux passions : la mycologie et la lecture des grimoires medievaux, qui ont en commun d' =etendre le champ des reves =. Ces pratiques oniriques expliquent en grande part l'etrange climat dans lequel baigne le recit, comme si la realite menaCait a tout instant de basculer dans l'illusion qui en modele les contours. A la suite d'un incident qu'il n'est pas en mesure d'elucider (il a reCu un coup a la tete sans parvenir a determiner s'il se l'est donne accidentellement ou s'il a ete victime d'une agression), le pharmacien de Taxham se retrouve amnesique et muet au volant de sa voiture avec deux inconnus, deux passagers dont il est peut-etre l'otage, sans non plus en etre certain : un ancien champion olympique de descente et un poete. On ne sait pas qui est le prisonnier de qui dans cette fuite hors du =pays mauvais =, hors du temps, jusqu'en Andalousie. Le nevrose de la vitesse et le nevrose de la lenteur, pilotes par un doreur de pilules : comment ne pas lire dans ce roman, le plus magique qu'il nous ait jamais donne, une parabole de l'Autriche eternelle, laquelle produit par specialite des champions de ski alpin et des ecrivains maudits ? Le roman fait d'ailleurs beaucoup penser au =Chinois de la douleur =, que Peter handke ecrivait durant son sejour a Salzbourg, dans les annees 80, et auquel il ne livre pas un echo fortuit : on y retrouve meme le personnage d'Andreas Loser, ce professeur de langues anciennes qui tuait d'un jet de pierre un graffiteur de croix gammees. L'epoque n'etait deja pas triste. On avait vu en 1984 le ministre de la Defense autrichien accueillir personnellement a la frontiere un criminel de guerre nazi, le pitoyable Reder, qui venait d'etre libere d'une prison italienne. Le prefet de police de Salzbourg, un ancien SS, lanCait des invectives aux artistes. Il arrivait a Peter handke de se retrouver au poste. Les taxis refusaient meme de voiturer ses visiteurs jusqu'en son ermitage du Moenchberg, la colline qui domine Salzbourg. Mais dans l'exil qu'il s'est choisi, il est encore plus seul qu'il y a quinze ans. =C'est un brave petit fiston, tendre et faible, mais il parle sans arret de solitude =, disait deja de lui autrefois son compatriote Thomas Bernhard, un matre en la matiere. Il avait tout de suite reconnu sous le debutant le dangereux rival. Il precisait meme avec un rien de perfidie, car la solitude est en Autriche une specialite athletique, susceptible a tout moment de tourner en championnat national : =Ce sont justement ceux-la qui ne peuvent pas rester seuls, parce que pour Ca il faut faire un bel effort. = Peter handke a dejoue son pronostic. Il l'a fait, le =bel effort =. Il en a meme ajoute beaucoup dans la demonstration, ayant naguere coupe les ponts avec l'intelligentsia, sa famille d'accueil, par les farouches elans proserbes auxquels, comme on sait, il s'est abandonne dans =Voyage d'hiver =. Avec une violence et une raideur qui ont surpris. Il a fait scandale alors. Thomas Bernhard en aurait pali de jalousie. Voici donc handke desormais sans rival. Seul de tous cotes. Deteste de tous. Dommage, le verbe =jouir = n'existe pas en allemand. Du moins ce qu'on entend par la est-il inexprimable d'un mot dans la langue de Goethe. On peut tout juste, par une honnete periphrase, =avoir un orgasme = (einen Orgasmus haben). Il est donc impossible de designer avec precision la volupte malheureuse, le morose delice dans lesquels Peter handke, afflige d'une solitude toujours plus atroce, mais cultivee avec orgueil, cet heroƒÂ¯sme du desespoir, puise desormais son inspiration. Tel son personnage, qui fait des parties d'echecs avec lui-meme, il laisse =l'autre = gagner. Il a un jour explique, dans un entretien a l'hebdomadaire allemand =Der Spiegel =, qu'il gotait et recherchait la solitude pour =le sentiment d'irrealite qu'elle procure =. handke se tient depuis toujours dans cet au-dela des choses, cet au-dela de tout discours. L'un de ses premiers textes, encore inedit en fran C ais, a pour titre : =Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms =, =Je suis un habitant de la tour d'ivoire =. Alors, chaque fois qu'il en descend, il ne manque jamais de pietiner, s'il en reste, les illusions et les espoirs de carriere que pouvait inspirer le long jeune homme melancolique salue par Thomas Bernhard. On a pourtant ecrit une oeuvre considerable. On a reCu les prix les plus prestigieux, le BƒÂ¼chner, le Schiller, le Kafka. On a croise les plus grands dans les portes a tambour de l'Histoire. On a traduit Rene Char et Francis Ponge, Emmanuel Bove et Patrick Modiano, on s'est montre a la Mostra de Venise, on a fait du cinema, on a parcouru le monde dans de vieux autocars, d'Alaska au Japon, et au bout du compte on a l'air perdu dans une pensee a laquelle rien de tout Ca n'a jamais reussi a donner un contour imperieux, sauf peut-etre, mais alors il y aurait longtemps, la guitare de Bill Wyman. handke a beau etre un marcheur parfois difficile a suivre, ses fantomes ne le lachent plus. JEAN-LOUIS EZINE =Par une nuit obscure je sortis de ma maison tranquille =, par Peter handke, traduit de l'allemand par Georges-Arthur Goldschmidt, Gallimard, 196 p., 98 F.



JEAN-LOUIS EZINE







Nouvel Observateur N‚° 1840



Jean Rolin en =Campagnes =



Un chat a Sarajevo



Au contraire du proserbe Peter handke, Jean Rolin n'est pas alle en Bosnie par conviction ideologique, mais pour y tenir ses carnets d'ecrivain desenchante







Jean Rolin est un grand reporter d'un genre particulier. Pour lui, la destination importe peu ; seul compte le mouvement perpetuel. Chaque fois il part sans bagages, sans presupposes et sans se retourner (a peine emporte-t-il, avec lui, l'hypothese d'un livre, l'espoir d'une belle page). Ce sceptique gote le hasard et contourne la necessite. S'il observe, c'est a la derobee. S'il se tient, c'est a l'ecart. S'il ecrit, c'est dans les marges. S'il a le choix entre des sentiers buissonniers et des routes bien tracees, vous pouvez etre sr qu'il choisira les premiers. Il n'enquete pas, il baguenaude. Il ne marche pas droit, il avance en crabe. Il ignore ce que tout le monde voit et remarque ce qui avait echappe a la plupart. Il prefere loger chez l'habitant qu'a l'hotel, fait du stop, se moque des raccourcis, reve de se procurer de faux papiers, s'imagine agent secret, aspire a vivre incognito et a sauter les frontieres. A cet ancien mao reconverti dans la clandestinite sociale et la desillusion paresseuse, on doit notamment une expedition de Zanzibar au Cap, des promenades endormies le long des canaux de France, une balade dans les ruines siderurgiques du bassin lorrain, une derive crepusculaire dans la banlieue de Paris et tant d'autres flaneries au cours desquelles il semble n'en jamais finir d'actualiser un improbable guide des bistrots-de-la-gare, des bars-PMU enfumes, des hotels miteux et des terrains vagues. Moraliste sans morale, pelerin sans foi et marin sans navire, cet ecrivain ambulatoire, qui a herite de Cingria et de Fargue, affectionne les zones interlopes, les usines desaffectees, les decombres d'un monde ou, faute de certitudes, il erre dans l'espoir d'y trouver un peu d'humanite, le sourire d'une jolie femme, quelques situations cocasses, un banc ou flemmarder, un lit ou se reveiller apres la bataille, un alcool ou s'oublier, et de merveilleux oiseaux. L'ideologue professionnel est en effet devenu un ornithologue amateur, qui epie les mesanges a la Goutte-d'Or, les merles a Sarcelles, les corbeaux a Zanzibar et les ibis a Dar Es-Salaam. En ex-Yougoslavie, quand il est las de promener son regard sur les corps calcines et les maisons brlees, il parle des pigeons de Sarajevo, des corneilles de Butmir, des martinets de Mostar, des cigognes de Petrinja et, lorsque cessent les bombardements, du coq enerve qui retrouve son emploi, et chante, chante encore. De 1991 a 1997, alors qu'on le croyait avec les ecrivains corses de la foire du livre de Blanzat ou en train de fumer des petards en Moselle avec des militants du RPR, Jean Rolin n'en finissait pas de sejourner en Bosnie-Herzegovine. Qu'allait-il faire la-bas ? On ne le sait pas. On ne le saura pas. Un but ? Non, une fuite. S'il epouse la cause bosniaque et deteste les Serbes, l'auteur de =l'Organisation = ne pratique jamais, comme s'y sont alors risques beaucoup d'intellectuels franCais, le voyage geopolitique. Rolin ne milite pas, il bourlingue. Son carnet de bord ne ressemble en rien (exception faite du livre de Lionel Duroy, =Il ne m'est rien arrive =) a ce que l'on a pu lire sur ce pays en flammes, sur ce peuple en larmes. Ce que montre ici Rolin, ce n'est pas la guerre, c'est la vie qui s'obstine, qui enrage, qui resiste, malgre la guerre. Et, parfois, contre la guerre. Une chanson de Piaf =Allez venez milord = ou =l'Ete indien =, de Joe Dassin, dans des cafes ou l'on boit de la biere et fume des cigarettes Lord. Une maison de Mostar ou passe a la television =Tourbillons =, un feuilleton franCais avec Fabienne Babe. Des enfants qui jouent au =circle = a Sanski Most. Un match de football qui oppose des militaires britanniques et des soldats serbes. Une galerie d'art de Sarajevo ou, sous le titre =Witnesses of Existence =, l'on expose huit artistes bosniaques. Des appartements ou on lit =Art Press = et les =Cahiers du cinema =. Le vernissage, entre deux bombardements, d'une exposition de Gabriel Jurkic dans le foyer du Kamerni Teatar. Ou encore la toute jeune Sejla, que Rolin lutine sans qu'on sache ce qui, de sa =beaute renversante = ou de son obstination a poursuivre, malgre le siege de la ville, ses activites de mannequin, l'attire le plus. Reste que, sous ses airs de Tintin, Rolin n'est dupe de rien. Il n'a pas son pareil pour epingler les imposteurs, les miliciens ethyliques en 4 x 4 et Ray-Ban ou les criminels deguises en humanistes. Tel ce Todor Dutina, qui se prevaut d'avoir enseigne la litterature comparee a Poitiers, traduit TolstoƒÂ¯ ou Jean Genet, et qui, en 1992, bombarbe le batiment de la television bosniaque. Decidement, Jean Rolin est un ecrivain d'un genre particulier. Il se balade dans les champs de mines avec un gilet pare-balles, une vieille carte Michelin, une bouteille d' =antibiotik = (de la vodka), quelques citations de Duras, et en guise de porte-chance une petite taupe en peluche. Jamais il ne feint de prendre de la hauteur ni ne joue au heros. Il n'aime pas juger, il prefere regarder. Partout, ce dandy SDF garde l'elegance du desespoir. Plus le paysage est triste, plus sa phrase est belle. Il y ajoute cet humour desenchante, qu'on trouve chez Woody Allen. Meme l'horreur, Rolin ne la decrit pas comme les reporters de guerre. Ici, ce ne sont pas les charniers, ni les obus qui pleuvent, ni les villages rases, ni la terre accablee. C'est une femme, jeune et un peu grosse, qui, aux portes de Tuzla, s'est pendue avec sa ceinture a une branche d'arbre. C'est aussi la bibliotheque en ruines de Sarajevo, =pleine d'etrons, de pigeons morts et, ce qui est tout de meme plus sympathique, de chats errants =. Ce pourrait etre le totem de Jean Rolin. JEROME GARCIN =Campagnes =, par Jean Rolin, Gallimard, 202 p., 95 F.



JEROME GARCIN







ouvel Observateur N‚° 1686







Peter handke le refractaire



L'Autrichien en exil a fait de la banlieue parisienne le centre de son monde interieur






Ou se trouve le centre du monde ? Salvador Dali l'avait identifie. C'est la gare de Perpignan. Peter handke est trop voyageur pour aspirer a nommer le pole de ses errances. Mais il ne s'interdit pas de faire d'une baie des Hauts-de-Seine, quelque part entre Meudon, Velizy, Villacoublay et Versailles, le centre de son monde interieur. Pour la premiere fois il nous offre un gros livre, une chronique obstinee et copieuse d'un ecrivain qui ne sait vivre qu'a l'ecart, dans des arriere-pays que lui seul a appris a desirer. Devenir anonyme dans une banlieue sans nom, dans =la baie de Personne =, est son utopie intime. Son travail a plein temps. Sa devise. Sa devise est simple : =Vivre en fragments et rever en totalite. = Il s'est impose comme discipline de tout dire de son inaptitude au present et de se mettre sans cesse en quete d'un recit impossible. Ce livre resonne comme une longue =priere narrative =. Le grand recit tant espere n'est peuple que de heros inacheves et de fictions incompletes. C'est ce qui en fait tout le prix. Autrichien refractaire, temoin a charge de sa propre oisivete, greffier de ses metamorphoses, contempteur ombrageux de son epoque, Peter handke est aussi un extraordinaire poete de sa solitude. Recale a l'examen de la paternite et de la conjugalite, pour lui l'expression =vivre ensemble = n'est qu'une source de tourments. Il n'est pas misanthrope, loin de la, il est simplement inapte aux autres, ce qui ne l'empeche pas de convoquer dans son recit sept amis une amie yougoslave, un cure autrichien, un architecte, un peintre, un lecteur, un chanteur et un fils , et de les entra ner a leur insu dans des grands voyages dont il est l'accompagnateur invisible. Il leur donne procuration pour nomadiser a sa place. Il les observe de sa baie solitaire, de sa tour de controle interieure. A eux le monde, a lui le Nouveau Monde, celui des explorations immobiles. Peter handke est un marcheur en perpetuel surplace. Ses inactivites preferees sont marcher, ecrire, habiter une maison, aussi. Se livrant a l'exercice quotidien du regard, il dresse ensuite l'infini proces-verbal de ses observations. Regarder est sa grande affaire. Absorber et etre absorbe par mille details dans une ruelle d'un faubourg ou une champignonniere peripherique, voila son etrange metier. Peter handke ecrit des pages fascinantes sur l'attrait qu'exercent sur lui les banlieues parisiennes, dont il est un explorateur acharne. Marcher a Cachan, parcourir Malakoff, rever a Vanves, decouvrir un cerisier a Arcueil, se perdre a Gentilly et habiter Clamart ont ete, avant la decouverte de sa baie, ses =aventures = quotidiennes : =Ces banlieues, aussi malades qu'elles fussent peut-etre elles-memes, devinrent quelque chose comme mon medecin. J'avais besoin d'elles, un besoin urgent, absolu. = Ce furent dans ces territoires personnels de recherche qu'il put, par la grace des rares miracles de l'instant, se delivrer de la certitude que le monde etait inapprochable. Plus tard, dans sa baie merveilleuse, qu'il croit avoir ete inventee pour son seul usage, cet homme des villes et des bois s'adonne a la contemplation hypnotique du =soleil des mots =. Il ecrit comme il marche. En revant. =Mon annee dans la baie de Personne = est l'envo tant ressassement poetique d'un ecrivain toujours en guerre avec son epoque. Il y fait dans la douleur la paix avec lui-meme. Drole de guerre. Drole de paix. GILLES ANQUETIL =Mon annee dans la baie de Personne =, par Peter handke, traduit de l'allemand par Claude-Eusebe Porcell, Gallimard, 490 pages, 160 F.



GILLES ANQUETIL

 

Peter Handke
VERSUCH UEBER DEN GEGLUECKTEN TAG
Ein Wintertagtraum
Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1991, 90 S., ISBN: 3-518-40379-6

VERSUCH UEBER EINEN GEGLUECKTEN TAG nennt P.H. seinen nunmehr dritten Versuch, den er auch noch mit ein Wintertagtraum entschuldigen moechte.
..erkenne ich doch immer oefter, und mit immer groesseren Zorn, gegen mich selber, wie mit der vorrueckenden Zeit mehr und mehr Augenblicke meiner Tage mir etwas sagen, wie ich aber weniger und weniger von ihnen fasse und, vor allem, wuerdige.
Diesem unserer Zeit und unseren Breitengraden durchaus angemessenen Motiv kommt und kommt P.H. aber nicht auf die Spur, benennt es auch erst auf der Seite 68, um es allerdings sogleich in niederschmetternder Weise wieder zu negieren:
Ich bin, ich muss es wiederholen, empoert ueber mich, dass ich unfaehig bin, das Licht des Morgens am Horizont, welches mich gerade noch hat aufblicken und zur Ruhe kommen lassen (in die Ruhe kommen, steht beim Briefschreiber Paulus), zu halten.
Tatae, Tatae, Tatae!
Auch ein Versuch verlangt in seinem Tasten nach Stringenz, und wenn die dem Autor nicht moeglich ist, weil er zu keiner ihn befriedigenden Loesung kommt und er zuletzt den Traum lediglich als Traum anerkennt, dann haette das Publikum fuer sein Geld wenigstens einige gelungene Fragmente verdient. Aber dieser Wintertagtraum kommt unverdaut und unueberarbeitet ueber die gutwillige Leserschaft: Dynamisch-inhaltliche Widersprueche sind von P.H. unkommentiert neben-und nacheinander hingerotzt, will sagen, angetastet worden. Sie ergeben kurze, ihrer selbst wegen, hingeworfene Assoziationsstrecken, die ins beliebige Irgendwohin weisen und alles Moegliche, nur keinen wirkungsvollen und glaubwuerdigen Bezug zur Welt, zum Leser, zum Thema oder auch nur zum Autor herstellen.
Neben dem wortwoertlichen UEbersetzen franzoesischer Idiome, wurden P.H. offenbar auch wortwoertliche UEbersetzungen von Paulustexten aus dem Alt-Griechischen zur ebenfalls von ihm unbegruendeten Autoritaet. Aber die wortwoertliche UEbersetzung schuetzt nicht vor Missverstaendnissen und Nicht-Verstehen. Auf P.H.s Und es entspraeche der Idee solch eines Tages, statt eines Versuchs, eher die Psalmenform, ein wohl im voraus vergebliches Flehen?, haette ihm selbst Paulus ein heftiges, verzweifeltes Das wohl nicht! entgegengeschleudert und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass nur sein Innewohnen in der Dialektik des Psalmes ihm auch den von P.H. an den Anfang gestellten Vers an die Roemer eingegeben hat: Der den Tag denkt, denkt dem Herrn!
Wer sich und andere so wenig ernstnimmt, musste das Thema zweifach verfehlen, auch wenn Bemaentelungen wie Versuch und Traum als Amulette dagegengehalten wurden: Sein offenbar blindgepicktes Korn auf Seite 68 wollte P.H. nicht schlucken, dafuer haelt er sich spitzfindig, was P.H. wohl mit aesthetisch verwechselt, an der naiven Suche nach einem absoluten Rezept fuer planbar geglueckte Tage auf, aehnlich wie andere nach Wunschtraumfrauen oder -maennern Ausschau halten, weil sie sich nicht auf eine spannungsvolle Beziehung einzulassen vermoegen.
Dieses Buch ist noch nicht mal langweilig, es ist mit seinen ueberlangen, selbstgefaelligen Wortspielereien in beleidigend schlechter Verfassung. Nur P.H. kann wissen, warum er es nicht in die Schublade fuer fehlgeschlagene Versuche geraeumt hat:
Ich selber bin mein Feind geworden, zerstoere mir das Licht des Tags; zerstoere mir die Liebe; zerstoere mir das Buch.


05 28. Januar 2000

Martin Krumbholz Peter und das RotkAEppchen
LITERATUR Handkes ErzAEhlung Lucie im Wald mit den DingsdaJemandem die Fuesse brechen, das heisst im Handke-Deutsch soviel wie jemandem auf die Nerven fallen. Synonyme dafuer lauten: jemandem die Bonbons oder dieWeih rauchflAEschchen brechen. Peter Handke hat schon vielen seiner Leser und Kritiker die Fuesse oder die Bonbons gebrochen, und fuer Kritiker ist es besonders schlimm, sie sind foermlich aus dem Tritt gebracht, wenn der notorische Konsens-Verderber ihnen die Kategorien schAEndet.Ich bin aber einer, der es nicht kalt an der Nase hat (das heisst furchtlos sein, Handke-Deutsch), und so tue ich mir auch keinen Zwang an, wenn ich ueber des Dichters neuestes Werk in der gebotenen Kuerze ein Dingsbums verfasse, mit allem dafuer erforderlichen detektivischen Spuersinn. Lucie im Wald mit den Dingsda nennt sich das gute Stueck rAEtselhaft und vielversprechend, und bald ist klar: ein MAErchen ists, genauer gesagt eine Paraphrase des MAErchens von RotkAEppchen und dem boesen Wolf. Wobei auch einige andere MAErchenmotive hineinspielen, am Schluss treten zum Beispiel zwei Koenige auf, ein echter und ein falscher, den falschen erkennt Lucie/RotkAEppchen an Krone und Brokatmantel, den echten jedoch an seiner Vorliebe fuer Dingsda. Die hat RotkAEppchen im Wald gefunden, es bringt sie dem echten Koenig, um ihn zu bestechen, denn RotkAEppchens beziehungsweise Lucies Vater sitzt wegen Hochverrats im GefAEngnis und ist schon zum Tode verurteilt...Lucie im Wald mit den Dingsda ist ein subversives Buch; man merkt es nicht erst daran, dass der echte Koenig im Keller residiert (Untergrund!) und den VerrAEter natuerlich grosszuegig durch die Finger sehend begnadigt (Dingsda-Freaks unter sich!), sondern auch schon an der Anspielung auf den Beatles-Song Lucy in the sky with diamonds, bekanntlich eine leicht chiffrierte Umschreibung fuer LSD. Fast unverbluemt macht der staats- und sittenfeindliche Dichter Handke in seinem neuen Buch Reklame fuer Hallozinogene, denn die Dingsda sind ihrerseits eine Chiffre fuer Rausch- und BetAEubungsmittel, die man im Wald findet - magic mushrooms -, und mit denen unser MAErchenerzAEhler sich sehr gut auszukennen scheint.Der boese Wolf, das ist natuerlich der Dichter selbst in einer seiner Lieblingsmasken, und das unschuldige RotkAEppchen, das ist eine leicht durchschaubare Allegorie der oeffentlichen Meinung. Die wird vom boesen Wolf mAEchtig gereizt (es steckt auch eine gewisse Sexualsymbolik dahinter), schliesslich frisst der UEbeltAEter die kranke Grossmutter, den politischen guten Willen nAEmlich, legt sich selbst ins Bett und verschluckt mit seinem gierigen Maul und seinen scharfen ZAEhnen auch noch die oeffentliche Meinung. Dann aber erscheinen die braven Wortfuehrer des Feuilletons, schneiden dem boesen Wolf den Wanst auf, holen die oeffentliche Meinung unversehrt und ganz und gar jungfrAEulich wieder heraus und tun stattdessen Wackersteine hinein.Der Wolf ist offenbar nicht in den Brunnen gefallen, den er lAEngst vergiftet hat, sondern verfasst - nach sicherlich ausgiebigem Genuss von Hallimasch, Cantarella, Rotkappen etcetera - psychedelische LuegenmAErchen, in denen er so unhaltbare Behauptungen aufstellt wie die, die Todesstrafe sei fuer sAEmtliche LAEnder dieser Erde mit sofortiger Wirkung abgeschafft. (Nur weil man ihn nicht in den Brunnen gestuerzt hat!) Der Suhrkamp Verlag aber sollte sich langsam einmal ernsthaft fragen, ob er es mit seiner libertAEr-rationalistischen Grundordnung weiterhin vereinbaren kann, sogenannte Dichter in sein Programm zu nehmen, die unser aller deutsches RotkAEppchen mit den perfidesten rhetorischen Tricks auf die Holzwege ihres abartigen und haltlos berauschten Denkens locken wollen!Peter Handke: Lucie im Wald mit den Dingsda. Eine Geschichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 90 S., 28,- DM

Bund; 1999-10-02; Seite Z4; Nummer 230
Der kleine Bund
Polemisches und Poetisches
Peter Handke und Jugoslawien
Charles Cornu
=Sie hauen mir diese grossen Schrecklichkeiten ueber meinen armen Schaedel, und ich stehe daneben als proserbisch, wo ich nur Nuancen suche.= So Peter Handke, Bezug nehmend auf die ausserordentlich heftigen Reaktionen nach der Veroeffentlichung der beiden Berichte =Eine
Thomas Deichmann (Hrsg.)
NOCH EINMAL FUER JUGOSLAWIEN: PETER HANDKE
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 290 Seiten. Fr. 18.-.
Peter Handke
LUCIE IM WALD MIT DEM DINGSDA
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 90 Seiten. Fr. 26.-.
winterliche Reise zu den Fluessen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fuer Serbien= sowie =Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise= (1996).
Und so verhielt es sich weitherum in der Tat: Mit dem Holzhammer versuchte man Handke zu widerlegen, obschon dieser die Scheusslichkeiten des Bosnienkrieges nicht leugnete, wohl aber sie ausblendete, als er jenes Serbien und jene Serben aufsuchte, die sich, nicht zuletzt der Kriegswirtschaft wegen, auf archaische und mehr innerliche Werte neu zu besinnen begannen. Am Aufschrei fast der gesamten europaeischen und internationalen Presse ist Handke allerdings nicht unschuldig, hat er doch ebendiese Medien als hetzerisch und antiserbisch heftig und pauschal angeklagt.
Es gab jedoch auch Stimmen, die sich sorgfaeltig um Nuancierung und Differenzierung gegenueber Handkes teils idealisierenden, teils polemischen Reiseberichten bemuehten. Diese sind nun in dem von Thomas Deichmann herausgegebenen Band =Noch einmal fuer Jugoslawien: Peter Handke= gesammelt. Unverkennbar schlaegt sich Deichmann voellig auf die Seite Handkes; darum steuert er selber einen groesseren Aufsatz ueber ein fragwuerdiges, die oeffentliche Meinung manipulierendes und stimulierendes Foto aus dem Bosnienkrieg bei, was insofern besonders problematisch ist, als Handke selber sich ja gerade nicht als =Kriegsberichterstatter= verstanden hat. In die Sammlung eingegangen sind aus der Schweiz die Stellungnahmen von =Bund=, WoZ, =Zuerichsee-Zeitung= und =Tages-Anzeiger=. Diese und die weit zahlreicheren vor allem aus Deutschland und OEsterreich belegen, dass Journalisten durchaus des Abwaegens faehig sind, waehrend umgekehrt einige im Band abgedruckte Gespraeche sowie Handkes Rede zur Eroeffnung der Belgrader Buchmesse 1997 demonstrieren, wie parteiisch und rechthaberisch der Dichter aufzutreten vermag.
Ist die juengst erschienene raetselhafte Erzaehlung =Lucie im Wald mit dem Dingsda= ebenfalls als eine Reaktion Handkes auf die Querelen nach seinen Serbien-Aufsaetzen aufzufassen? Denkbar ists. Da tritt ein zitternder, zagender, stotternder und sogar stinkender =Vater= auf, der von seinen einsamen Waldgaengen die Saecke voll kurioser Dinge, die er aufgelesen hat, heimbringt. Dieser Vater naemlich ist ein unentwegter Sucher, Sammler, Betrachter und Beobachter, was ihm nicht nur das Toechterchen Lucie zeitweilig entfremdet, sondern ihn auch markant von der Gattin abhebt, die eine schoene und adrette Polizeichefin ist, und ihn ueberdies den massgeblichen, wenngleich falschen Behoerden verdaechtig macht.
Eine Parabel fuer des bedachtsamen Dichters randstaendige Existenz ueberhaupt? Die =Geschichte= (so die Bezeichnung fuer das kleine Buch) sowie die elf in den Text eingestreuten Skizzen des Autors muten wie eine dichterisch-kuenstlerische Fingeruebung eines kreativen Menschen an, der sich von einer groesseren Strapaze erholt - oder sich auf eine ebensolche vorbereitet.
Erholt sich Peter Handke von einer groesseren Strapaze, oder bereitet er sich auf eine ebensolche vor? Isolde Ohlbaum
2001 / Der Bund Verlag AG, Bern und Autoren / www.eBund.ch

 

 

 

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Publikations-Datum: 19991119
Seite: 66
Kultur
DAS BUCH
Die Dingsbums stiften Frieden und retten die Welt
Wer nicht sucht, der findet: So geht es Peter Handke mit der Poesie. In einem leider nicht nur ironischen Maerchen tritt er als Verfuehrer auf.

Autor: Von Christine Loetscher
Es gibt ein Kinderbuch, das wohl in fast jedem Kinderzimmer anzutreffen ist und das Der Regenbogenfisch stiftet Frieden heisst. Es hat, abgesehen von der Tatsache, dass es ein Kinderbuch ist, mit Peter Handkes Geschichte Lucie im Wald mit den Dingsda nichts gemeinsam. Es ist ein schoenes Buch, aber nicht, weil es politisch so korrekt ist, wie wir unsere Kleinen dereinst haben moechten, sondern weil die so genannten Glitzerschuppen der freundlichen Meerestiere so betoerend glaenzen. Ein bisschen so geht es einem auch mit Handkes Buch, das uebrigens weniger ein Kinderbuch ist als ein Buch ueber die Bemuehungen des Dichters, Kind zu bleiben. Diesmal naemlich ist Handke - wenigstens scheinbar - politisch so korrekt wie Paul McCartney.
Das Zeug, der Kram, die Dingsbums - ungewohnt profane und erstaunlich ungena Namen gibt Peter Handke den Dingern, die fuer das Wunder der Versoehnung unter den Menschen verantwortlich sind. Wer oder was die Dingsda genau sind, erfahren wir erst am Schluss, und die Antwort erklaert eigentlich gar nichts: Pilze. Halluzinogene Pilze vielleicht? Wesentlicher ist das familiaere Sprachtauziehen um die Dinger herum. Der Vater, ein Fluechtling, Zitterer und Weltfremder im Superlativ, nennt sie Herrlichkeiten, die Mutter aber, Lionella Strongfort mit Namen und Polizeichefin von Beruf, nennt sie Mulms oder, in handkescher Manier, meine Leideformen.
Lucie ihrerseits lebt zwischen Mutter- und Vatersprache und zieht sich an den Woertern hoch. Den Vater, der sich mit seiner Liebe zu den feuchten, schleimigen, schwarzbraeunlichen, durcheinanderliegenden Dingern, die in der Hauswaerme sofort schwarz verschrumpelt wie Maeuse- und Rattendreck aussehen und von einer Stunde zur anderen mit Schimmel ueberzogen sind, gesellschaftlich unmoeglich macht, findet Lucie peinlich, seine Art nervtoetend. So weit gelingt Handke die kleine Geschichte, mit der er sich zwischen PR-Einlagen fuer Serbien im Reich der Dichter zurueckmelden moechte.
Verwechslungen
Wer vor Pathos und literarischen Eucharistiefeiern nicht zurueckschreckt, erlebt glueckliche Momente in dem duennen Baendchen. Etwa, wenn er diese ganz und gar vertraeumte Vaterfigur in ihrer unglaublichen Umstaendlichkeit als Urbild des Dichters schildert: Der Vater dagegen verstand nicht zu suchen. Entweder fand er bloss zufaellig, oder sooft er mit etwas ganz anderem beschaeftigt war. Und er laesst den Vater selbst noch nachdoppeln: Indem ich das bestimmte Ding, das ich hier suche, fortwaehrend mit diesem und jenem andern verwechsle, gibt mir das die Gelegenheit, dieses andere, den Stein, das Blatt, die Rinde, die Wurzel, das Moos, auf eine Weise in Augenschein zu nehmen, wie ich das ohne Verwechslung, beziehungsweise meinen Irrtum, niemals getan haette.
Kaleidoskop
Hier folgen wir Peter Handke gern, und wir nehmen ihm auch die Verwandlung der Familienmitglieder und der Welt ueberhaupt ab, die sich durch die Verspeisung der Dingsda in der Fantasie des kleinen Maedchens wundersam vollzieht. Danach kann der Vater ploetzlich in kurzen Saetzen sprechen, Lucie dagegen in langen. Das Wunder der Poesie ereignet sich, wenn die Sprache aus der unbekannten, geheimen Tiefe des Unbenennbaren fliesst: Dingsda, Dingerchen. Unterstrichen wird dieser Gestus des Textes durch das Zitat im Titel, das auf den buchstaeblich sinnlos lyrischen Beatles-Song Lucy in the Sky with Diamonds verweist. Mit der ersten Zeile, die als Motto erscheint, unterlegt Handke den ganzen Text mit dem Song: Picture yourself in a boat on a river.
Stell dir vor: Das ist das Motto der Geschichte, die - und das ist kein Detail - in der Fantasie des Maedchens entsteht. Denn eigentlich heisst sie gar nicht Lucie und ist ueberhaupt ein wenig anders als das Kind in der Geschichte. Schliesslich ist sie ja das Maedchen mit den Kaleidoskopaugen und erfindet sich die Welt so, wie ein Dichter denkt, dass sich ein Kind die Welt vorstellt. Die Geschichte, die Handke in Wirklichkeit erzaehlt, ist das Maerchen von der Rueckkehr des Dichters hinter sein Kaleidoskop, das die Welt zum bunt strahlenden Kathedralenfenster macht. Nichts mehr suchen. Im Garten bleiben. In den Wald gehen nur noch mit nichts zu suchen im Sinn.
In diesem Ansinnen koennen wir Peter Handke nur unterstuetzen. Nur schade, dass er es nicht lassen kann, den Bogen vom vertraeumten Lucy in the Sky zur politischen Utopie zu schlagen - so dass sich ein paar Akkorde aus John Lennons Imagine zwischen die Zeilen mischen.
Politischer Aberglaube
Die Sache mit dem Verwechseln ist naemlich die, dass Handke wiederum einer Verwechslung zum Opfer faellt: wie wenn er nicht zwischen AEsthetik und Moral unterscheiden koennte. So sehr man ueber Handkes Insistieren auf dem sprachlichen Wunder beglueckt ist, so sehr aergert man sich, wenn er den Vorgang eins zu eins auf die Politik uebertraegt. Denn dass der Aussenseiter-Vater ploetzlich verhaftet und zu Tode verurteilt wird, ist im Text ungenuegend, merkwuerdig oberflaechlich motiviert. Wenn man es verstehen soll, muss man schon um Handkes Vorliebe fuer die von der ganzen Welt Unverstandenen wissen. Und die ganze Geschichte um den Bittgang der bekehrten Lucie zum Koenig, dem sie die Dingsbums praesentiert, reduziert das poetische Wunder auf eine Mischung zwischen politischem Aberglauben und Endzeitfantasien. Die Dingsda versetzen den Koenig in einen lyrischen Zustand, was selbstverstaendlich bedeutet, dass er den zum Tode verurteilten Fluechtlingen Gerechtigkeit widerfahren laesst und sie begnadigt. Um sicherzugehen, dass auch alle kapieren, was er meint, doppelt der Erzaehler nach: Diese Dinger, das waren die geraden Gegenstuecke zu Granaten oder sonst etwas!
Natuerlich erzaehlt Handke all das mit einem ironischen Unterton, der manchmal aber hart mit den hehren Klaengen zu kaempfen hat. Vielleicht muessen wir Lucie in den Momenten, die sich nicht zwischen tangerine trees and marmelade skies abspielen und in denen man den Kopf nicht mehr in den Wolken hat, auch ein bisschen als Apologie des Dichters auf dem Schlachtfeld lesen.
Peter Handke: Lucie im Wald mit den Dingsda. Eine Geschichte. Mit 11 Skizzen des Autors. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 1999. 91 Seiten, 25 Franken.
BILD PETER KURZ/CONTRAST
Peter Handke Peter Handke

Lucie in the Woods with the Thingumajig
(Original title: Lucie im Wald mit den Dingsda)
with color drawings by the author
92 pages
clothbound
1999
Sold to: Spain (Alianza), Italy (Garzanti)

This fairy-taleby Peter Handke is a poetic story which does not shy away from self-mockery. The protagonist is Lucie, a ten-year-old girl, whose father, a gardner complete with dirty hands and baggy pants, goes regulary into the woods to gather malmsor thingumabobs. These finds later provide Lucie with the means to free her father from the KINGS dungeon.

The Play about the Movie about the War
(Original title: Das St UE ck zum Film vom Krieg)
124 pages
Paperback
1999
Sold to: Yugoslavia (Paideia), Poland (Ksiegarnia Akademicka)

The setting of Peter Handke s topical yet poetic play (premier in May at the Burgtheater, Vienna) is the Hotel Acapulco in a small provincial town deep inside the Balkans. Two directors, an American and a Spainard, meet in the lobby of the hotel while searching for actors for a film about the war which took place in the region a decade before.


Versuch UEber den geglUEckten Tag, 1991
Sold to: USA (Farrar, Straus & Giroux), France (Gallimard), Netherlands (De Prom), Spain (Alianza), Norway (Gyldendal Norsk), Portugal (Difel), Greece (Kastaniotis), Sweden (Albert Bonniers), Finland (Otava), Italy (Garzanti), Greece (Exandas), Russia (Amphora).

Versuch UEber die Jukebox, 1990
Sold to: USA (Farrar, Straus & Giroux), France (Gallimard), Netherlands (De Prom), Spain (Alianza), Portugal (Difel), Greece (Kastaniotis), Sweden (Albert Bonniers), Italy (Garzanti), Turkey (Nisan Yayinlari), Slovenia (Wieser), Russia (Amphora).

Mein Jahr in der Niemandsbucht, 1996
Sold to: USA (Farrar, Straus & Giroux), France (Gallimard), Norway (Gyldendal Norsk), Netherlands (De Prom), Spain (Alianza), Sweden (Albert Bonniers), Italy (Garzanti), Turkey (Can).

Eine winterliche Reise zu den FlUEssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit fUEr Serbien, 1996
Sold to: France (Gallimard), Italy (Einaudi), Spain (Alianza), USA (Viking), Republik of Yugoslavia (Grigorje Bosovic), Slovenia (Wieser), Greece (Exandas), Turkey (Telos).

Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise, 1996
Sold to: France (Gallimard), Italy (Einaudi), Spain (Alianza), Greece (Exandas), Turkey (Telos).

In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus, 1997
Sold to: Italy (Garzanti), France (Gallimard), Spain (Alianza), Turkey (Can), Korea (Munhakdongne), USA (Farrar, Straus & Giroux), Netherlands (De Prom), Czech Republic (Prostor), Slovakia (Slovensky Spisovatel), Sweden (Bonniers), Poland (Czytelnik), Lithuania (Lithuanian Writers Publishing House), Portugal (Noticias).

About the author:
Peter Handke, born in 1942 in Griffin (K AErnten), lives today just outside Paris. In 1966 Suhrkamp published his first novel Die Hornissen.

Prizes:
Gerhart Hauptmann Prize (1967), Schiller Prize of the City of Mannheim (1972), Georg BUEchner Prize (1973, returned in 1999 by the author), Bremen Literature Prize awarded by the Rudolf Alexander SchrOEder Foundation (1988), Grand Prize of the State of Austria (1988).